Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
Vom Netzwerk:
schweren, eichenen Stabilität. Es gab auch keinen Spalt, um einen Hebel anzusetzen, falls Esther überhaupt ein Werkzeug finden würde, das dazu geeignet war. Sie begab sich wieder nach oben.
    Als Nächstes nahm sie das Journal aus dem Sack und riss ein paar Seiten heraus. Auf jede Seite schrieb sie eine Nachricht. Dann fand sie zwei kleine Zündsteine, die ihr Vater aufbewahrt hatte, und einen Steinsplitter, umwickelte jeden Stein mit einem Blatt Papier und schleuderte die Botschaften vom Dach herunter. Sie betete, dass sie damit nicht zu ihrem Unglück einen Menschen verletzte oder ein Tier. Falls sie am Abend noch immer im Turm gefangen war – sie wagte kaum daran zu denken –, konnte sie vielleicht eine Kerze anzünden, obwohl nur noch ein paar übrig geblieben waren, zusammen mit ein paar Stummeln, die sie jetzt nicht verschwenden sollte. Sie schlich im Raum auf und ab und wusste kaum etwas mit sich anzufangen, während die Panik wuchs und abebbte, nur um gleich wieder anzusteigen, und sie angestrengt gegen ihre Angst kämpfte. Zweimal ließ sie ihren Schluchzern freien Lauf, aber als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie sich, dass dies nicht das Ende sein würde. Sie würde überleben! Wer auch immer sie in diese Bedrängnis gebracht hatte, würde am Ende nicht den Sieg davontragen. Ihr übel zugerichtetes Journal lag auf dem Tisch. Im Schrank gab es mehrere Schreibfedern und ein Tintenfass. Wie schon viele Male zuvor, als sie sich auf dem Dach zusammengesetzt hatten, ihr Vater und sie, war die Tinte gefroren. Jetzt wärmte sie die Flasche in ihren Händen, wählte dann eine Feder, tunkte sie ein und zog das Buch zu sich heran. Wie Sir Walter Raleigh und John Bunyan, die ebenfalls Gefangene gewesen waren, würde sie sich ihren gesunden Verstand durch Schreiben bewahren. Und wenn man sie zu spät fand, konnten alle ihre Geschichte lesen. Es wäre die Geschichte ihres Lebens.
    Esther begann zu schreiben.
    »Ein Bericht von Esther Wickham ...«
    Drei Tage lang schrieb sie Bruchstücke aus ihrer kurzen tapferen Existenz nieder, durchlebte sie noch einmal in den Mauern von Starbrough Hall und im Dorf. In ihren fünfzehneinhalb Jahren war sie kaum darüber hinausgekommen, kannte Norwich nicht und seine schöne normannische Kathedrale, hatte nie Yarmouth besucht und die Heringsboote in den Hafen einschiffen sehen, nie die Wellen der weiten Nordsee auf das Geröll an der Küste krachen gehört. Aber sie hatte eines der größten Geheimnisse des Universums beobachtet, vor allem die unendlichen Himmel erforscht. Sie hatte fremde Planeten erblickt, hatte gesehen, wie Sterne ihr zuzwinkerten, welche sie Abermillionen Meilen und Abermillionen Jahre entfernt wusste. Sie war jung an Jahren, aber alt an Wissen und Weisheit. Sie war ein Mädchen, das seinen Anfang verloren hatte und schon bald sein Ende erfahren würde. Sie schloss ihr Tagebuch mit einem entsetzlichen Gefühl der Trauer: Sie hatte jenen Mann verloren, den sie wie ihren Vater zu lieben gelernt hatte und der sie gerettet hatte und gelernt, sie zu lieben. Und sehr wahrscheinlich hatte sie das Heim verloren, das er ihr für immer erhalten wollte. Plötzlich erinnerte sie sich mit stechendem Schmerz, dass dies der Tag war, für den Josiah Bellingham seinen Besuch angekündigt hatte – er würde abreisen, ohne sie gesehen zu haben oder mehr über die große Entdeckung zu erfahren, welche sie und ihr Vater gemacht hatten. Selbst das hatte sie also verloren!
    Als schließlich die Dämmerung und mit ihr die dritte Nacht anbrach, legte Esther die Feder nieder. Nur noch eine einzige Kerze war ihr geblieben und ein wenig Öl. In der kommenden Nacht wollte sie die Laterne auf das Dach stellen und hoffen, dass jemand das Licht erblickte.
    Draußen im Wohnwagen lag Summer und träumte ebenfalls . Einmal schrie sie auf, aber Esther und Claire regten sich nur kurz in ihrem Schlaf. Und Summers und Esthers Träume begannen sich zu vermischen ...
    Und als die Frauen am nächsten Morgen erwachten, war Summer Claire Keating verschwunden.

31. Kapitel
    Tageslicht. Jude hörte, wie Claire sich rührte, den Reißverschluss des Zeltes aufzog und nach draußen krabbelte. Sie rollte sich mühsam auf den Rücken – die Luftmatratze hatte über Nacht eindeutig Luft verloren – und versuchte sich zum Aufstehen zu überreden. Im Zelt war es heiß, und sie hatte unruhig geschlafen. Vage Traumfetzen fluteten durch ihren Kopf, von Träumen voller Gewalt und ungeheuerlichem Verlust.

Weitere Kostenlose Bücher