Die Kastratin
Papier tropfen. Jetzt erst erwachte Giulia aus ihrer Starre und drückte den Ring vorsichtig in das weiche Wachs. Als sie ihn wieder entfernte, zeigte das Siegel einen Berg, der von einem Haus gekrönt wurde. »Euer Name in Stein geschnitten«, kommentierte die Gräfinwitwe. »Möge der Ring Euch alle Zeit Glück bringen.«
»Ich danke Euch, Erlaucht.« Giulia sank in die Knie und küsste ergriffen die Hand der alten Dame. Diese strich ihr über das Haar und kämpfte sichtlich mit den Tränen. »Es ist schon sehr spät geworden. Ich werde mich daher zurückziehen.« Die Gräfinwitwe winkte ihre Kammerfrau heran und befahl ihren Gästen, die sich ebenfalls erheben wollten, sitzen zu bleiben. »Lasst euch den Wein und die Speisen schmecken und feiert fröhlich weiter, bis die Glocke Mitternacht schlägt.« Mit diesen Worten stützte sich die alte Dame auf Celestinas Arm und ließ sich von dieser aus dem Saal führen.
Giulia sah zweifelnd auf ihren Teller und fand, dass sie genug gegessen hatte. Als ihr eine Magd nachlegen wollte, hob sie abwehrend die Hand. »Ich bin satt und außerdem müde. Ich werde es Erlaucht gleichtun und mich hinlegen. Schließlich muss ich morgen früh in der Burgkapelle gut bei Stimme sein.«
Pater Franco nickte beifällig und wünschte ihr eine gute Nacht. Er selbst aber reichte der Magd seinen Teller, um sich noch ein Stück Braten aufladen zu lassen. Giulia verabschiedete sich mit einer freundlichen Geste von der Mamsell und den anderen Gästen und ging etwas steifbeinig auf ihr Zimmer.
Nachdem sie den Riegel vorgeschoben und die Vorhänge vor die beiden kleinen Fenster gezogen hatte, entkleidete sie sich und wusch sich flüchtig mit kaltem Wasser. Dann zog sie die nur noch lauwarme Kohlenpfanne aus dem Bett und schlüpfte aufatmend unter die Decken. Trotz ihrer Müdigkeit fand sie keinen Schlaf, denn die Freude über das gelungene Fest ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie musste an das letzte Weihnachtsfest denken, an dem ihre Mutter und ihr Bruder Pierino noch gelebt hatten. Das hatte sie als ähnlich schön empfunden. Doch damals war sie ja noch ein argloses, kleines Mädchen gewesen, das noch nichts von den schönen und den dunklen Seiten des Lebens geahnt hatte.
Ein hartes Klopfen schreckte sie aus ihren Gedanken, und sie wollte schon nicht antworten. Dann dachte sie daran, dass es Assumpta sein musste, die noch einmal nach dem Feuer in ihrem Kamin sehen wollte, und stand auf. »Ja? Wer ist da?«, fragte sie vorsichtshalber.
Da vernahm sie die Stimme ihres Vaters. »Ich bin es, Giulia. Mach auf. Ich muss mit dir sprechen.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich liege schon im Bett.« Giulia hatte keine Lust, sich von ihm die schönen Bilder in ihrem Kopf madig machen zu lassen. »Es ist wichtig«, drängte er. »Ich will dir doch ein Geschenk überreichen.«
Giulia wunderte sich ein wenig, da ihr Vater ihr in den letzten zwei Jahren kein Weihnachtsgeschenk mehr gemacht hatte. Schnell zündete sie die Lampe mit einem Fidibus an, den sie in den Glutrest im Kamin hielt, schlüpfte in ihren voluminösen Morgenmantel, der ihre Figur so gut verbarg, dass sie sich vor Risa oder der Mamsell darin zeigen konnte, und öffnete die Tür.
Hastig schlüpfte ihr Vater herein, drückte die Tür hinter sich zu und legte den Riegel vor. Seine Augen flackerten, und Giulia wurde beinahe schlecht von dem sauren Geruch nach Wein, den er ausströmte. Sie wich bis zum Tisch zurück und nahm das für ihn vorbereitete Geschenk in die Hand, das sie ihm am nächsten Morgen hatte überreichen wollen. Gleichzeitig bemerkte sie, dass er nichts mitgebracht hatte. Noch ehe sie etwas sagen konnte, packte ihr Vater sie und zog sie an sich. Seine Rechte öffnete ihren Morgenmantel und glitt hinein, um nach ihren Brüsten zu suchen. »Was soll das?« Giulia fühlte sich vor Schreck wie gelähmt, versuchte aber, ihn von sich weg zu schieben. »Du bist ein Weib«, flüsterte er mit rauer Stimme. »Du musst die Liebe lernen. Ich werde sie dir beibringen.«
»Entweder bist du völlig betrunken oder verrückt geworden!« Giulia wand sich und riss sich los, kam jedoch nicht weit. Er packte sie mit hartem Griff, drängte sie zu ihrem Bett und drückte sie hinein. Sie versuchte noch, sich zur Seite zu werfen. Doch er warf sich auf sie und hielt sie mit seinem Gewicht unter sich fest. »Sträube dich nicht. Es wird dir gefallen«, raunte er ihr ins Ohr und zerrte den hinderlichen Morgenrock beiseite. Als es ihm nicht
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