Die Kastratin
war. Sie würde kein Wort darüber verlauten lassen.
Am nächsten Morgen sagten die Menschen, die Giulias Gesang in der Kapelle gelauscht hatten, sie hätten den Kastraten noch nie so schön und innig singen hören. Die Gräfinwitwe floss über vor Tränen und küsste gerührt ihre Hand. Giulia nahm den Dank mit einem freundlichen Lächeln hin und verschloss ihre eigenen Gefühle tief in ihrem Innern.
Ihren Vater bekam sie an diesem und auch am folgenden Tag nicht zu Gesicht. Erst am dritten Tag ließ er sich wieder sehen und tat so, als wäre nicht das Geringste zwischen ihnen beiden vorgefallen. Giulia verachtete ihn dafür fast noch mehr als für das, was er ihr hatte antun wollen.
XI .
D er Abschied war kurz, aber herzlich. Die Gräfinwitwe umklammerte Giulias Hände und presste sie gegen ihre Brust, während die Mamsell ihren Tränen freien Lauf ließ und Pater Franco sich verzweifelt räusperte, um den Frosch zu vertreiben, der in seiner Kehle saß. »Ihr kommt im November wieder, Casa-monte, nicht wahr? Das versprecht Ihr mir doch!« Die Stimme der Gräfinwitwe klang so ängstlich wie die eines Kindes. Giulia kam sich beinahe schlecht vor, weil sie aus ihren Diensten schied. Doch bevor sie etwas sagen konnte, antwortete ihr Vater für sie. »Wir werden wiederkommen, Erlaucht. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.« Es war eine Lüge, die er wie so viele andere Lügen mit ehrlicher Miene von sich gab, so als würde er selbst daran glauben. Giulia selbst wusste nicht, ob sie noch einmal nach Falena kommen wollte. Gewiss, sie hatte hier freundliche Aufnahme gefunden. Doch die Erinnerung an die Nacht nach dem Weihnachtsfest war auch jetzt, fast drei Monate danach, noch so frisch, als hätte sie ihren Vater erst gestern Abend aus ihrem Zimmer vertrieben. »Lebt wohl.« Sie reichte der Reihe nach Risa, der Mamsell und der Kammerfrau Celestina die Hand, dann Pater Franco, der sie fast nicht loslassen wollte. Nach einer letzten Verbeugung vor der Gräfinwitwe stieg sie in die Kutsche, die diese ihnen bis Modena zur Verfügung gestellt hatte.
Ihr Vater folgte ihr auf dem Fuße und ließ sich schwer auf die gepolsterte Bank fallen. Dann erst bemerkte er, dass Giulia diesmal gegen die Fahrtrichtung saß. Bevor er etwas sagen konnte, kam Assumpta herein und setzte sich auf Giulias Wink neben sie. Beppo nahm mit einem feinen Lächeln neben Girolamo Casamonte Platz.
Das Dienerehepaar wunderte sich nicht über Giulias abweisendes Verhalten ihrem Vater gegenüber. Die beiden ahnten, dass zwischen Vater und Tochter etwas Unerfreuliches vorgefallen war. Aber sie sagten auch jetzt nichts, sondern blickten wehmütig auf den gastfreundlichen Ort, von dem sie beide ungern schieden. Assumpta war es gelungen, das Vertrauen der Mamsell zu erringen, ohne die übrige Dienerschaft zu verprellen, und Beppo trauerte den Pflänzchen nach, die er noch letzte Woche mit dem Burggärtner zusammen gesetzt hatte. Er hätte sie so gerne wachsen und gedeihen sehen. Außerdem waren er und Assumpta fest davon überzeugt, dass die Burg der Gräfinwitwe der einzige Ort war, an dem Giulia sich frei von allen Gefahren aufhalten und sicher leben konnte.
Abgesehen von der Tatsache, dass die Gräfinwitwe den Sommer wieder in Mantua zu verbringen gedachte, war es genau diese trügerische Sicherheit, die Giulia veranlasste, Falena wieder zu verlassen. Wenn es ihr je gelingen sollte, sich von ihrem Vater zu lösen, durfte sie sich nicht in eine scheinbare Idylle zurückziehen. Ihr war es im Grunde genommen gleichgültig, wohin die Reise ging. Sie musste sich so, wie sie jetzt war, in der Welt behaupten und sich dabei auch auf Dauer gegen ihren Vater durchsetzen. Girolamo Casamonte ahnte nichts von den rebel-lischen Gedanken seiner Tochter, sondern schwärmte in den höchsten Tönen von Modena. Seine Phantasie gaukelte ihm bereits vor, dass Giulia mit Leichtigkeit die Gnade des Herzogs Ercole II . erringen und mit Gold überschüttet würde.
Giulia ließ ihn reden. Während die Kutsche die schlechte Straße entlang holperte und sie ein übers andere Mal gegen Assumpta geschleudert wurde, hing sie versonnen ihren eigenen Plänen nach. Als ihr Vater plötzlich die Hand ausstreckte, um zur Bekräftigung seiner Worte ihr Knie zu tätscheln, war sie jedoch hellwach. Ihre Rechte schoss nach vorne und packte seinen Unterarm mit hartem Griff. »Fasse mich nicht an. Nie mehr!« Obwohl Giulias Stimme leise klang, damit der Kutscher auf dem Bock es nicht hören
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