Die Katze
das brave Mädchen, die Fleißige, Aufmerksame, Hilfsbereite.«
»Die Märtyrerin«, unterbrach Jill sie.
»Die sich um Ihre Mutter gekümmert und die Familie zusammengehalten hat...«
»Ja, und wie toll das geklappt hat, was?«
»Laut Ihren eigenen Notizen hat sie Sie, als Sie klein waren, jeden Morgen zur Schule gebracht, Ihnen Mittagessen gekocht und für Sie Hausaufgaben gemacht, damit Sie keinen Ärger in der Schule kriegen...«
»... und vor Erleichterung laut geseufzt, als Ethan anfing, in mein Bett zu kommen statt in ihrs«, fauchte Jill. »Oh ja. Sie
war einfach großartig. Sie hat sich wirklich um mich gekümmert, nicht wahr?«
»Was hätte sie tun können?«
»Ich weiß nicht. Es jemandem erzählen, vielleicht? Sie war schließlich die Brave, schon vergessen? Die, der alle zugehört und geglaubt haben. Ich - ich war die Lügnerin, die Unruhestifterin. Meinen Sie, jemand hätte geglaubt, dass mein Bruder und...«
»Und?« Das einsilbige Wort schwebte über dem Tisch und hing zwischen ihnen in der Luft.
»Muss ich es Ihnen wirklich vorbuchstabieren?«
»Ihr Vater hat Sie belästigt?«
»Er hat mich zum Analverkehr gezwungen!«, schrie Jill. »Und wollen Sie etwas wirklich Komisches hören? Er sagte, es wäre zu meinem Wohl. Damit ich mir keine Sorgen wegen einer Schwangerschaft machen müsste. War das nicht rücksichtsvoll von ihm?« Jill kämpfte gegen eine neue Tränenflut. »Und jetzt kommt er mich besuchen und tut so, als wäre nie etwas passiert und ich hätte die normalste Kindheit der Welt gehabt. Und was mache ich? Ich spiele die alberne Scharade mit.«
»Sie haben ihn nie zur Rede gestellt?«
»Haben Sie Ihren Vater je zur Rede gestellt?«
»Was?«
»Haben Sie Ihren Vater je zur Rede gestellt für das, was er getan hat?«
»Mein Vater hat mich nie belästigt.«
»Nicht? Was hat er denn getan?«
»Nichts. Das war das Problem.«
»Klingt ganz so wie mein Problem mit Pam.«
Sie schwiegen beide.
»Interessant, nicht wahr?«, fuhr Jill nach einer Weile fort. »Ich kann ignorieren, was mein Vater und Ethan getan haben, aber ich komme nicht darüber hinweg, was Pammy und meine Mutter nicht getan haben. Und Sie haben es geschafft, Ihrer
Mutter zu vergeben, dass sie Sie verlassen hat, aber Sie bringen es nicht über sich, Ihrem Dad zu verzeihen. Dass er nichts getan hat.«
»Was für ein Riesenhaufen Scheiße.« Als Charley Stunden später den Flur im dritten Stock der Palm Beach Post hinunter zu ihrem Arbeitsplatz stürmte, kochte sie immer noch vor Wut, während Jills Worte in ihrem Kopf widerhallten. »Lass dich nicht von ihr kriegen. Lass dich nicht von ihr kriegen.«
»Charley?«, rief Michael Duff aus seinem Büro, als sie daran vorbeimarschierte. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Klar.« Charley nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich zu beruhigen, bevor sie Michaels Büro betrat.
»Wie ich höre, ist eine Gratulation angesagt«, sagte er, als sie hereinkam.
»Eine Gratulation?«
»Heute Nachmittag hat mich ein Freund aus New York angerufen. Offenbar hat eine meiner Star-Kolumnistinnen einen Buchvertrag.«
»Er ist erst heute Morgen geschlossen worden. Ich wollte es Ihnen noch erzählen«, stotterte Charley.
»Das Verlagsgeschäft ist eine ziemlich inzüchtige Branche. Neuigkeiten verbreiten sich schnell.«
»Ich hatte noch zu tun. Es tut mir schrecklich leid.«
»Das muss Ihnen nicht leid tun. Aber nicht vergessen, ich zähle auf die Vorabdrucksrechte.«
»Die haben Sie«, versprach Charley ihm, verabschiedete sich und ging weiter zu ihrer Klause.
»Herzlichen Glückwunsch«, rief eine Mitarbeiterin des Sekretariats, als sie um die Ecke bog.
»Danke«, rief Charley zurück und dachte, dass sich Neuigkeiten tatsächlich sehr schnell verbreiteten.
An ihrem Computer saß Mitchell Johnson.
»Mitchell?«, fragte Charley. Er fuhr herum und sah sie mit
hochrotem Kopf an. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Er sprang auf. »Michael hat mir erzählt, dass Ihr Buchdeal durch ist, und da wollte ich Ihnen gratulieren, aber Sie waren nicht da.«
»Und da haben Sie es sich hier gemütlich gemacht?«
»Ich hab bloß auf Ihre Rückkehr gewartet.«
»Was Interessantes gefunden?«, fragte Charley und wies mit dem Kopf auf den Computer.
»Eigentlich nicht.« Er lachte hohl und gezwungen. »Ein Buch und eine wöchentliche Kolumne. Meinen Sie nicht, Sie packen sich mehr auf den Teller, als Sie essen können?«
»Ich denke, ich werde es so eben
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