Die Katze
vermutlich auch nicht wissen. Ich sollte es ohnehin früh genug erfahren. Wir sind also nach Disney World gefahren, und ich muss gestehen, dass ich mich großartig amüsiert habe. Ich habe Pammy und das blutige Laken ganz vergessen. Wir sind mit allen Karussells gefahren, und als ich gekreischt habe, hat mein Vater mich in den Arm genommen und mich sein kleines Törtchen genannt. Das war echt nett. Ich mochte es, sein kleines Törtchen zu sein.
Es gab auch noch andere gute Zeiten. Gute Zeiten, schlechte Zeiten, wie in jeder Familie. Nehme ich an. Aber ich werde langsam müde, und meine Hand verkrampft, also mache ich für heute Schluss. Morgen schreibe ich Ihnen noch einen Brief und freue mich, Sie am Mittwoch zu sehen. Zwei ganze Stunden. Wow!
Ich denke jedenfalls, dass ich Ihnen eine Menge Stoff zum Nachdenken geliefert habe, und ich weiß, dass Sie viele Fragen haben werden. Versuchen Sie, keinen zu schnell zu verurteilen. Niemand ist nur gut oder nur böse, und ich habe meiner Familie ihre kleinen Fehler vergeben. Wie heißt es in der Bibel? »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«
Damit Schluss für heute. Ich kann es nicht erwarten, Sie wiederzusehen.
Alles Liebe
Jill
P.S.: Hat schon ein Verleger angebissen? Lassen Sie es mich sofort wissen, sobald einer knabbert.
Charley faltete den Brief und steckte ihn in ihre Handtasche. Dann stand sie auf, verließ ihren Arbeitsplatz und ging zur Damentoilette am Ende eines langen Flures. Dort schloss sie sich in der nächsten Kabine ein und brach in Tränen aus.
KAPITEL 12
Der Arbeiter mit dem gelben Helm beobachtete sie vom Dach ihres Nachbarn, als Charley in die Einfahrt fuhr. Beim Aussteigen lächelte sie zu ihm hoch, und er lächelte zurück.
»Wie geht’s?«, rief er.
»Okay«, rief sie zurück. »Und selbst?«
»Geht so. Ich freu mich aufs Wochenende.«
»Na, dann wünsche ich Ihnen ein schönes.« Charley warf einen besorgten Blick auf das Nachbargrundstück. Ein weiterer Wortwechsel mit Gabe Lopez war das Letzte, was sie gebrauchen konnte, zumal die Begegnung mit Mitch Johnson noch immer an ihr nagte.
Wie konnte er es wagen, ihre Kolumne zu benutzen, um sich für die Zurückweisung seiner Avancen zu rächen?, dachte sie, als sie die Haustür aufschloss. In Wahrheit war ihre nächste Kolumne eine ihrer stärksten seit Monaten. Vielleicht nicht so sexy wie manche ihrer jüngeren Versuche, aber ihr halbernster Vorschlag, man könne Menschen auch dadurch davon abhalten, betrunken zu fahren, indem man sie aus dem Wagen zerrt und auf der Stelle erschießt, war garantiert kontrovers und provokativ. Vielleicht würde sogar ihr Bruder Notiz davon nehmen, vielleicht würde er sich dann endlich mal bei ihr melden. Sie hatte die ganze Woche noch nichts von ihm gehört.
Ein weiterer Mann, der sie offenbar mied. Sie schloss die Haustür hinter sich und ging ins Schlafzimmer. Sie spürte eine leichte Übelkeit.
Glauben Sie, dass unser mentaler Zustand unser körperliches Wohlbefinden beeinflussen kann?
Ich weiß nicht mehr, was ich glaube, dachte Charley, zog ihr weißes T-Shirt aus und ein identisches frisches an. Ich glaube, Kinder haben ein Recht, in einem Haus aufzuwachsen, in dem Haustiere nicht vor ihren Augen getötet werden, sie nicht vom Boden essen müssen und nicht geschlagen und sexuell missbraucht werden.
Erzählte Jill die Wahrheit? Und selbst wenn alles, was sie gesagt oder angedeutet hatte, das Evangelium wäre, konnte das ihr Verhalten entschuldigen? War die Tatsache, dass Jill Rohmer als Kind abscheulich missbraucht worden war, eine Rechtfertigung für ihre spätere unmenschliche Behandlung anderer Kinder?
Schließlich sind wir alle das Produkt unserer Kindheit. Alles, was wir als Erwachsene werden, geht darauf zurück, wer wir als Kinder waren, wie wir behandelt wurden und was unsere Ideen und Werte geprägt hat. Wir sind, wer wir waren.
»Nur größer«, sagte Charley laut.
Aber wie erklärte das die Tausende von Menschen, die als Kind missbraucht wurden und trotzdem zu fürsorglichen und verantwortungsbewussten Erwachsenen heranwuchsen? Und wie den Nachwuchs liebevoller und aufmerksamer Eltern, der zu gewissen- und reulosen Mördern wurde? Warum träumte die eine Schwester davon, sich dem Friedenskorps anzuschließen, während die andere blutige Fantasien über die Ermordung Unschuldiger ausbrütete?
Unsere Kindheit mag uns prägen, dachte Charley auf dem Weg in die Küche, aber es gibt so
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