Die Kaufmannstochter von Lübeck
Pergament und Tinte mitgenommen – und auch einen Bleistift, wenn dir der Umgang mit der Tinte zu ungewohnt ist!«
»Soll ich vielleicht auch erwähnen, in welch scheußlichem Gasthaus wir hausen müssen?«
»Mit keinem Wort! Wolfgang kennt schließlich unseren Hintz sehr gut – und er wird ihn danach fragen, wo er dich finden kann.«
»Vorausgesetzt er möchte das.«
»Sicher.«
Grete seufzte. »Dann gib mir das Schreibzeug! Ich werde gleich anfangen.«
E inunddreißigstes K apitel
Ein Wiedersehen
Johanna ging an diesem Abend in die Kirche von St. Nikolai. Es war ihr ein Bedürfnis, Zwiesprache mit dem Herrn zu halten. Und sie suchte auch Rat, wie es denn jetzt weitergehen sollte. So vieles war in den letzten Monaten geschehen. Tiefgreifende Veränderungen hatten ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt, und kaum etwas von dem, wovon sie noch vor einem halben Jahr felsenfest überzeugt gewesen war, hatte jetzt noch Bestand.
Ein Leben in Klostermauern war nicht der richtige Weg für sie. Das hatte sie inzwischen verstanden, auch wenn erst ein das Beichtgeheimnis brechender Priester und eine gegen alle Regeln ins Vertrauen gezogene Äbtissin ihr die Augen öffnen mussten.
Sie dachte an Frederik. Alles in ihr sehnte sich danach, ihn wiederzusehen, ihn in die Arme schließen und vielleicht ein neues, ganz anderes Leben beginnen zu können. Mochte im Moment auch noch viel dagegensprechen, so fühlte sich zumindest der Gedanke gut und hoffnungsvoll an. Johanna musste unwillkürlich lächeln.
Ein um das andere Mal wiederholte sie die Worte, die sie in seinem Brief gelesen hatte.
Helsingborg – dort war er nun. Oder zumindest war er dort gewesen, als er den Brief geschrieben hatte. Bis zum Öresund ist es gar nicht so weit, überlegte sie. Eine gute Kogge ist in ein paar Tagen dort, und auch wenn sich der Krieg überall mehr als deutlich ankündigt, fahren ab und zu immer noch Schiffe dorthin.
Noch …
Nein, der Gedanke, sich an Bord eines solchen Schiffes zu begeben, um der unerfüllten Sehnsucht ihres Herzens zu folgen, war einfach zu verrückt, zu abwegig. Und doch wollte er nicht weichen. Immer wieder drängte er sich in den Vordergrund, ohne dass Johanna dagegen irgendetwas tun konnte.
Gott sei auch mit dir, Frederik, betete sie schließlich stumm. Du wirst seinen Beistand mindestens so nötig haben wie ich.
Als Johanna zum Gasthaus des blinden Jelmer zurückehrte, war es schon dunkel. Erstaunlicherweise befand sich niemand im Schankraum außer dem blinden Wirt. Sein Sohn versorgte um diese Zeit wohl die Pferde, denn Johanna hatte ihn vor den Stallungen gesehen. Die Wirtin schien gerade etwas zu essen zuzubereiten. Zumindest verbreitete sich aus der offen stehenden Tür zum Nachbarraum ein würziger Geruch.
Dass allerdings überhaupt niemand an den Tischen saß, war sehr ungewöhnlich.
»Guten Abend, Frau aus Lübeck«, sagte Jelmer, nachdem Johanna den Raum betreten hatte.
»Woher …?«
»Ich erkenne dich an deinen Schritten. Ich erkenne jeden Menschen, der schon mal seinen Fuß über meine Schwelle gesetzt hat, an seinen Schritten und daran, wie der Boden unter dem jeweiligen Gewicht mehr oder weniger ächzt.« Er zuckte die Schultern. »Wer nicht sehen kann, sollte zumindest gut hören.«
»Du hast wirklich sehr gute Ohren.«
»Vermutlich wunderst du dich, weshalb niemand hier ist.«
»Nun …«
»Nicht einmal der junge und der alte Mann, die dich begleiten.«
»Wo sind sie?«
»Im Hafen wird eine neue Kogge zu Wasser gelassen, und man braucht jeden Mann, dessen Hände ein Seil umklammern können. Ein paar Kupferstücke kann man da schon verdienen.« Er lachte. »Und umso hungriger werden sie alle später wieder hier einkehren. Aber dafür ist vorgesorgt.«
»Dann weiß ich immerhin, wo sie sind«, sagte Johanna. Das bedeutete auch, dass Hintz inzwischen zurückgekehrt war. Ich werde Grete fragen, was er zu berichten hatte, nahm sie sich vor.
Sie war schon beinahe an dem blinden Wirt vorbeigegangen und hatte die Treppe, die in die oberen Stockwerke des Hauses führte, fast erreicht. Aber sie zögerte, blieb schließlich stehen.
»Ich weiß, dass du mich etwas fragen willst«, sagte Jelmer.
»Du scheinst nicht nur gut zu hören, sondern auch Gedanken lesen zu können.«
»Ich gebe mir Mühe.«
Es macht ihm offensichtlich eine besondere Freude, andere in Erstaunen zu versetzen, ging es Johanna durch den Kopf.
»Wenn du diese Gabe wirklich hättest, brauchte ich dir meine
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