Die Kaufmannstochter von Lübeck
Laufburschen sind seltener, als man annehmen möchte!«
»Nein, nicht so schnell!«, widersprach Grete. »Du sollst nicht denken, dass ich den Brief mit falschen Absichten an dich gerichtet habe. Es geht mir nicht darum, nur ein bequemeres Lager zu haben. Wir besuchen dich gerne morgen in deinem Haus. Und dann werden wir weitersehen.«
»Das ist wirklich dein Wunsch?«, wunderte sich Wolfgang. Dann zuckte er mit den Schultern. »In das Haus eines Pieter van Brugsma wärst du ohne Bedenken eingezogen, obwohl du ihn kaum gekannt hast. Mich dagegen kennst du fast dein ganzes Leben lang und …«
»Diesmal will ich alles richtig machen, Wolfgang.«
Wolfgang sah sie an und nickte schließlich. »Gut, wie du meinst. Dann freue ich mich, wenn ihr alle morgen Gast in meinem Haus seid.«
Als Wolfgang schließlich ging, erbot sich Grete noch, ihn bis vor die Tür der Herberge zu seinem Pferd zu begleiten.
»Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen«, sagte sie.
»Das habe ich auch nicht so aufgefasst«, antwortete Wolfgang. »Vor den Kopf gestoßen hast du mich bei ganz anderer, schon länger zurückliegender Gelegenheit. Und ich glaube, da hast du es nicht einmal bemerkt.«
»Ja, das mag wohl sein«, musste Grete zugeben. »Aber andererseits sollte man doch jedem zugestehen, dass er auch etwas dazulernen kann, oder?«
»Gewiss.«
»Dann gestatte dies auch mir.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden.«
Sie sahen sich an. Das Mondlicht spiegelte sich in Wolfgang Prebendonks Augen. Er hatte die Zügel seines Pferdes bereits vom Pflock gelöst und wirkte etwas unschlüssig. Aber Grete schlang plötzlich ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. »Bis morgen«, sagte sie. »Ich will hoffen, dass du ein standesgemäßer Gastgeber bist.«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Dann stieg er in den Sattel und ritt davon. Grete sah ihn hinter St. Nikolai einbiegen, dann war er ihren Augen entschwunden.
Im Gasthaus des blinden Jelmer ging es später noch hoch her. Es war genau so, wie der Wirt es prophezeit hatte. Nachdem das Schiff zu Wasser gelassen worden war, kehrten die Männer zurück. Sie waren bereit, die paar Münzen, die man ihnen für ihre Dienste gegeben hatte, sofort wieder auszugeben. Das Bier floss in Strömen, und die Suppe, die die Frau des blinden Wirts zubereitet hatte, wurde genauso gierig verkonsumiert.
Hintz und Jeremias waren auch unter den Rückkehrern. Sie saßen zusammen mit Johanna und Grete an einem Tisch. Während Hintz und Jeremias die Suppe probierten, entschied sich Johanna dafür, später etwas von dem mitgebrachten Proviant zu essen. So nahm sie nur einen halben Krug voll Bier.
»Es war eine gewaltige Kogge – so etwas habt Ihr noch nicht gesehen«, berichtete Hintz.
»Eine ganze Reihe weiterer davon stehen kurz vor dem Stapellauf«, ergänzte Jeremias. »Und unter den Männern, die mitangefasst haben, waren viele, die die Stadt als Waffenknechte angeworben hat.«
»Dann gleicht die Lage ja der in Lübeck«, kommentierte Johanna.
»Ich habe gehört, dass es bald losgehen soll«, sagte Jeremias. »Und noch ein Gerücht macht die Runde: Waldemar sei noch immer im Süden. Manche sagen sogar, in Italien. Und zurzeit hätte sein Reichsdrost Henning Podebusk die Befehlsgewalt.«
Den Namen Henning Podebusk hatte Johanna wiederholt auf dem Kölner Hansetag gehört. Der Drost des Königs von Dänemark galt als durchtriebener Diplomat von großem Geschick und ebenso großer Skrupellosigkeit. Angeblich stammte seine Familie aus Putbus auf Rügen, und die jetzige Fassung seines Namens, unter dem er weithin bekannt geworden war, war nichts anderes als eine der dänischen Sprache angepasste Bezeichnung seiner Herkunft.
Vermutlich ging ein großer Anteil an Waldemars Erfolgen auch auf die Rechnung des Drostes. »Wenn Waldemar wirklich nicht im Land ist, hat man das gut verborgen«, meinte Johanna. »Eigentlich kann das aber nur bedeuten, dass seine Suche nach Verbündeten nicht besonders von Erfolg gekrönt ist. Denn wieso sollte er sonst noch im Süden sein?«
Jeremias beugte sich etwas vor. »Die Leute sagen, weil er Angst vor der Hanse hat und den Krieg lieber in der warmen Sonne abwarten will!«
Am nächsten Tag besuchten sie das Haus von Wolfgang Prebendonk. Es lag in unmittelbarer Nachbarschaft eines der prächtigsten Patrizierhäuser von Stralsund, in dem Berthold Metzger, der sogenannte Pharao, residierte und von wo aus er seine Geschäfte führte.
Das Haus von Wolfgang Prebendonk
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