Die Kaufmannstochter von Lübeck
sollte. Und schließlich entschloss sie sich dazu, obwohl völlig ungewiss war, ob ihre Schwester das wirklich als ein Zeichen von Nächstenliebe betrachtete. Reiner Nächstenliebe, die nicht durch irgendeine Art des Eigennutzes getrübt wurde.
»Du wirst neue Hoffnung schöpfen, Grete – und die Tatsache, dass sich ein Traum in nichts aufgelöst hat, heißt nicht, dass sich nicht ein anderer Traum für dich auf wunderbare Weise erfüllen kann.«
Grete lächelte verhalten, aber ihr Gesicht wirkte trotzdem traurig. »Es gehört schon viel Gottvertrauen dazu, jemanden wie mich trösten zu wollen. Allerdings fällt es mir schwer zu glauben, dass irgendetwas von dem, was du sagst, irgendwann wirklich wahr wird.« Sie atmete tief durch und wandte den Blick dann nach vorn. »Vielleicht sollte jetzt ich meine Hoffnungen mehr auf das Jenseits und die Herrlichkeit Gottes richten, so wie du es bisher getan hast.«
»Wie kommst du darauf?«, wunderte sich Johanna.
Grete zuckte mit den Schultern. »Wir beide würden dann einfach unsere Leben miteinander tauschen. Ich werde Nonne, und du triffst vielleicht auf dem nächsten Hansetag einen netten Gesandten – mag er nun aus Schweden kommen oder von irgendwo sonst.«
Trotz ihres eigenen Schmerzes konnte es Grete offenbar nicht lassen, ihre Schwester in diesem Punkt zu ärgern.
D reiundzwanzigstes K apitel
Sicherer Hafen
Ein mit kaltem Schneeregen vermischter Wind blies Frederik von Blekinge entgegen, als er Stralsund erreichte. Die Stadt an der Meerenge zwischen der Insel Rügen und dem pommerschen Festland glich aus der Ferne einer gewaltigen Wasserburg. Auf allen Seiten trennten sie wehrhafte Mauern imposanten Ausmaßes vom Wasser, das den Großteil der Stadt umgab. Sie waren so hoch, dass selbst die mehrstöckigen Häuser im Inneren nicht darüber hinausragten. An den Anlegestellen und Anfurten rund um die Stadt machten Handelsschiffe aus dem ganzen Ostseeraum fest. Außerdem war unübersehbar, dass Stralsund ein Zentrum des Schiffbaus war: Überall entlang des Ufers fanden sich größere und kleinere Werften. Der Klang der Hämmer vermischte sich mit dem unablässigen Rauschen des nahen Meeres. Hier entstand offenbar ein Schiff nach dem anderen: Koggen, kleinere Barkassen, die nur für den Verkehr entlang der Küste oder allenfalls für eine Fahrt bis zur Insel Rügen taugten, und Fischerboote, die hier nicht nur gebaut, sondern auch wieder instand gesetzt wurden, wenn das Meer, das Wetter oder einfach nur die Zeit ihnen zugesetzt hatte.
Von Stralsund aus, das wusste Frederik von Blekinge, fuhren mehr oder minder regelmäßig Schiffe nach Gotland, Lund oder Stockholm. Auch andere Handelsplätze entlang der schwedischen und dänischen Küsten wurden angelaufen. Als Frederik im Gefolge von Gustav Bjarnesson vor Wochen den Weg nach Köln zurückgelegt hatte, war er schon einmal in der Stadt gewesen. Stralsund war für jeden, der aus dem Norden kam, so etwas wie das Tor zum Kontinent. Und nicht von ungefähr sahen viele die Bedeutung seines Hafens gleich hinter der des Lübecker Hafens.
Frederik war schnell geritten, und es war unwahrscheinlich, dass ihm die Kunde von den Vorgängen in Köln vorausgeeilt war, zumal man in Stralsund wohl kaum schon über die Ergebnisse des Hansetags Bescheid wusste.
Wut erfasste Frederik jedes Mal, wenn er an die ungerechtfertigten Beschuldigungen dachte, die auch noch von einem Mann ausgesprochen worden waren, den er kannte und der ihm noch am Abend zuvor auf freundliche Weise begegnet war. Allein der Gedanke an die perfide Verschwörung, in die er da offensichtlich hineingeraten war und in der man ihm die Rolle eines Sündenbocks zugedacht hatte, sorgte dafür, dass sich ihm der Magen umdrehte. Was genau da im Hintergrund abgelaufen war, konnte Frederik sich allerdings nicht so ganz zusammenreimen. Er konnte nur darauf hoffen, dass die diplomatischen Bemühungen von Gustav Bjarnesson erfolgreich gewesen waren und es tatsächlich zu einem Bündnis gegen Dänemark kam.
Frederik ritt über die Brücke, die Stralsund mit dem pommerschen Festland verband. Am Tor wurde er von den Wachen kurz gemustert und dann eingelassen. Ein Händler mit einem vollkommen überladenen Eselskarren, der seine Waren offenbar auf dem Markt feilbieten wollte, wurde hingegen genauestens kontrolliert.
Dann trabte Frederik durch die engen, dicht bebauten Gassen der Stadt. Fachwerkhäuser reihten sich aneinander und kündeten von dem Wohlstand, der sich in den
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