Die keltische Schwester
heraus, zog Strandsandalen an und machte mich auf den Weg zum Meer.
Bislang war ich immer nur an den Felsen gewesen, hatte lediglich einmal auf den Strand hinuntergeschaut. Jetzt überraschte es mich, dass er sich weiter hinzog, als ich gedacht hatte. Wenn man die vorragende Landzunge, die auf einem Felsen etwa vier Meter hoch aufragte, umrundet hatte, folgte eine schier endlose Dünenlandschaft. Ob es Ebbe oder Flut war, konnte ich nicht erkennen, auf jeden Fall war das Meer ein ganzesStück von der Hochwasserlinie aus Algen, Tang und Muscheln entfernt.
Der Himmel wirkte unendlich groß und weit, und in Anbetracht dessen erschienen mir meine Sorgen plötzlich klein und unwichtig. Ich seufzte tief und glücklich auf, nahm meine Schuhe in die Hand und ging durch den warmen Sand bis dorthin, wo er feucht und fest wurde. Kleine, eisige Wellen schnappten nach meinen Zehen, ich sprang zurück. Dann aber, als ich einige Meter gegangen war, machte mir das kalte Wasser nichts mehr aus. Ich war ganz alleine am Strand, es war Anfang Juni, noch nicht Saison für Sonnenhungrige, und überhaupt, sehr besiedelt schien die Gegend nicht zu sein.
Ich begann zu laufen, übermütig sprang ich über Algenbündel und Treibholz, lachte über die Möwen, die vor mir Kapriolen flogen, ließ den Wind meine Haare zerzausen und sang falsch und fröhlich gegen die Wellen an. Als ich außer Atem war, ging ich weiter nach oben, setzte mich in das graugrüne, harte Gras in den Dünen und sah zu, wie das Wasser höher und höher auf den Strand kroch. Mit jeder Welle ein bisschen mehr. Die Flut kam. Die Sonne stieg. Meine Arme wurden rot, die Haut in meinem Gesicht spannte sich, mein Magen knurrte. Es war Zeit umzukehren. Sehr zügig machte ich mich auf den Heimweg.
Der Jeep stand vor der Tür, der Dämon belauerte von seinem Dach wieder irgendetwas am Boden.
»Was gibt es heute zu Mittag, Chef?«
»Brot und Käse, Oliven, ein Kouign Aman, Kirschen, Melonen, Kaffee, Wein, was eben da ist. Aber für heute Abend habe ich … Meine Güte, bist du verbrannt! Du siehst aus wie ein gekochter Hummer.«
»Ja, ich fürchte, ich habe vergessen, mich einzucremen.«
Ich ging in die Küche, wo Robert einen riesigen Weidenkorb mit Obst und Gemüse auspackte. Die Kirschen lockten mich.
»Ich hatte kein Frühstück.«
»Arme Lindis.« Er lächelte mich an, ein bisschen spöttisch, ein bisschen mitleidig. »Bedien dich. Ich mache uns Kaffee.«
»Wir müssen über die Haushaltskosten sprechen, Robert.«
»Unsinn. Ich nage nicht am Hungertuch. So viel kannst du gar nicht essen.«
»Wart’s ab, bis Beni kommt. Du könntest diese Aussage bereuen.«
»Wenn es ganz schlimm kommt, schicken wir sie Muscheln sammeln, die kosten nichts und sind sehr nahrhaft.«
»Tja, ich hoffe, dass bis in zwei Wochen dieses Haus noch steht. Wulf hat nämlich angekündigt, dass es spätestens am Mittwoch abgerissen werden soll.«
»Du scheinst nicht allzu fest daran zu glauben, sonst wärst du nicht hier!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe jetzt schon so viele Terminverschiebungen erlebt …«
Ich griff nach dem Brot und hätte beinahe Roberts Arm gestreift. Er machte einen Schritt zurück und gab mir Platz.
»Diese gesalzene Butter …«
»Im Kühlschrank.«
Ich strich sie dick auf das Brot, das noch ein bisschen warm war.
»Göttlich!«
»Freut mich, dass es dir hier gefällt. Wir werden sehen, was wir tun können, um Mère Morwennas Land zu retten, nicht wahr?«
Am späten Nachmittag besuchten wir die alte Dame.
»Sie spricht Bretonisch, in Französisch ist sie nicht besonders wortgewandt. Ein bisschen taub ist sie auch schon. Ich werde übersetzen.«
»Du sprichst natürlich Bretonisch.«
»Natürlich. Es ist die alte Sprache hier, sie geht bis auf die Keltenzeit zurück. Eigentlich müsstest du es auch fließend können, deine Danu hat vermutlich eine ganz ähnliche Sprache benutzt.«
»Na, wenn ich’s höre, fällt es mir vielleicht auf. Aber ich fürchte, die Verständigung in Träumen ist einfacher als im normalen Leben.«
Wir hatten das Häuschen erreicht, und eine wirklich uralte Frau erwartete uns schon. Sie war klein, geschrumpft durch das Alter, ihr Gesicht fast schon ein Totenkopf mit einem langen, weißen Zopf. Mager und leicht wie ein Vogel schien sie bald vom Wind aufgewirbelt zu werden, aber ihre altersblassen Augen blickten lebhaft, und sie begrüßte Robert mit einem Schwall krächzender Worte. Sie trug ein schwarzes, langes Kleid
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