Die keltische Schwester
an.
»Wir müssen ein gutes Team bilden, Lindis. Du und ich! Dann schaffen wir es beide.«
Der Gedanke war nicht schlecht. Abgesehen davon war da dieser kleine Funke wieder, der mir so erfreulich den Bauch wärmte.
2. Faden, 6. Knoten
Der Stein war aufgerichtet worden, um den Platz zu bezeichnen, wo die Wissenden und Weisen den Eingang zu einer anderen Welt gefunden hatten. Eine Welt, in der die Zeit eine andere Dimension hatte und nicht nach Stunden, Jahren oder Tagen gerechnet werden konnte. Eine Welt, in der der Raum eine andere Ausdehnung hatte, wo Meilen nicht Meilen und Lichtjahre nicht Lichtjahre waren. Eine Welt, in der Erkenntnisse nicht begründet werden mussten und aufeinanderfolgende Ereignisseparallel verliefen. Eine Welt, in der man die Ähnlichkeit und Verwandtschaft von Dingen und Abläufen sah, weil sie übereinanderlagen, gleich wann und wo sie sich manifestierten.
Die Gemeinschaft, die in dem Dorf lebte, zog irgendwann weiter, suchte neuen, fruchtbareren Boden, eine zugänglichere Küste. Andere wanderten vorüber, machten Halt am Rande des Waldes oder an den schroffen Felsen der Küste. Ihnen diente der aufrechte Stein als Wegweiser, als Landmarke auf ihren Wegen durch spärlich besiedeltes Gebiet.
Doch nicht nur das, auch sie verehrten diesen Ort und näherten sich ihm mit Achtung. Denn dem einen oder anderen öffnete sich dort zufällig das Tor zur
Autre Monde
, und er erhielt einen Einblick in das Wesen der Dinge. Die Weisen, die dann versuchten, ihre Träume zu deuten, schrieben sie dem stehenden Stein zu.
Dem Stein aber war das gleichgültig.
Es kamen andere Menschengruppen in das Land. Mit anderer Sprache und anderen Sitten. Sie kamen nicht mit Zerstörung und Krieg, sondern sie lebten in Nachbarschaft mit den ursprünglichen Einwohnern. Sie lernten voneinander, und ihre Familien und Bräuche mischten sich.
Der aufrechte Stein wurde auch für die Neuen eine Kultstätte, wo sie eine dreigestaltige Göttin verehrten. Eine Göttin, die die Kraft der Weissagung verlieh. Sie brachten darum an den Menhir bunte Blumen und perlmuttern schimmernde Muscheln, Federchen und glatte Kiesel. Sie sangen und tanzten um ihn herum. Und manchmal öffnete sich für die Priesterin das Tor zur
Autre Monde
, und sie erhielt einen Einblick in die Abläufe der Welt. Sie deutete die Träume und schrieb es der Göttin zu.
Dem Stein aber war das gleichgültig.
Es kamen Eroberer, die das Land mit Krieg überzogen. Siekamen aus Rom und besetzten Gallien. Doch der kleine Landzipfel im Norden blieb von ihnen unberührt. Dennoch, in ihrem Gefolge kam die Vernichtung des alten Volkes, und die machte auch vor dem letzten kleinen Dorf nicht Halt, denn es zogen Männer aus, um eine neue Religion zu verkünden. Sie verbreiteten ihren Glauben mit flammenden Bildern von Hölle und Verdammnis, mit Drohungen, die Angst und Schrecken verbreiteten, mit Missachtung und Beleidigungen der alten Bräuche und Werte, mit der Vernichtung der heiligen Quellen und mit dem Bild eines blutenden Mannes am Kreuz. Nötigenfalls lehrten sie die Menschen auch mit Schwert und Feuer die Grundsätze der christlichen Liebe.
Niemand sang mehr und tanzte um den Stein. Doch dann und wann passierte es trotzdem. Wenn nämlich einer der neuen Priester bei ihm stehen blieb, öffnete sich für einen kurzen Moment das Tor zur
Autre Monde
und gab ihm einen Einblick in eine andere Wirklichkeit.
Die Träume erschreckten die Priester, denn sie konnten sie nicht deuten. Es waren Erkenntnisse, die im Glauben der Männer nicht vorgesehen waren, und das machte ihnen Angst. Darum erklärten sie den Stein für gefährlich, für den Sitz teuflischer Kräfte und besprengten ihn mit Weihwasser.
Dem Stein aber war das gleichgültig.
7. Faden, 1. Knoten
»Haben Sie die ersten Daten schon eingegeben, Herr Schweitzer?«
»Natürlich.«
Ich war gerade dabei, mir meinen täglichen Frust abzuholen. Bislang hatte ich es vermieden, mit irgendjemandem übermeine Schwierigkeiten mit Schweitzer zu sprechen. Nachdem mir Wulf angedeutet hatte, dass es persönliche Verbindungen zu Dr. Koenig gab, wollte ich lieber erst einmal sehen, ob ich nicht doch auf meine Weise eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Mann herstellen konnte. Aber so sehr ich mich auch bemühte, Herbert Schweitzer kam mir keinen Schritt entgegen. Er machte, was ich ihm vorgab, aber kein bisschen mehr. Und wenn ich mich bei einer Sache geirrt hatte, erfüllte er buchstabengetreu auch meine Fehler. Wie auch
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