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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dieser sich darum kümmern sollte, erinnerte sich aber noch früh genug an dessen Verletzung und sagte sich, dass der Himmel ihn in letzter Zeit im Stich gelassen zu haben schien.

3.
    V eva beauftragte eine der Mägde, sich um ihren Vater zu kümmern, und trat ins Kontor. Das hatte sie in den letzten Monaten oft getan, doch heute war ihr die Stille im Raum so unheimlich, dass sie zuerst ein Gebet für die schnelle Gesundung ihres Vaters sprach. Auf einmal hatte sie Angst, ihn zu enttäuschen. Was war, wenn sie etwas falsch verstanden hatte und einen nicht wiedergutzumachenden Fehler beging?
    Einige Augenblicke lang fürchtete sie sich davor, einen der blanko unterschriebenen Papierbögen auf das Pult zu legen und die Schreibfeder in die Hand zu nehmen. Als sie endlich den Mut aufbrachte, fühlte sie, wie ihr der Schweiß auf die Stirn trat. Um genau zu wissen, worum es ging, las sie die eingegangenen Schreiben noch einmal durch. Sie entdeckte, dass ihr Vater einen Fehler begangen hatte, und wusste im ersten Augenblick nicht, was sie tun sollte. Wenn sie den Brief so schrieb, wie der Vater es befohlen hatte, würde der Handel, um den es ging, weitaus weniger Gewinn einbringen, als er vorhin behauptet hatte, oder gar mit einem Verlust enden.
    Veva legte die Schreibfeder weg und knetete nervös die Hände. Wenn sie den Vater darauf aufmerksam machte, würde dieser schon aus Prinzip auf seiner Version beharren und ihr dann, wenn das Geschäft schlecht ausging, die Schuld dafür zuweisen. Allerdings würde er das auch tun, wenn sie ihn nicht fragte und den Brief so schrieb, wie er es ihr aufgetragen hatte.
    »O heilige Maria, Mutter Gottes, was soll ich tun? Wenn es schiefgeht, werde ich gescholten. Aber ich darf doch nicht auf eigene Faust handeln.«
    Doch warum sollte sie den Fehler nicht korrigieren? Wenn das Geschäft durch ihre Änderung zu einem Verlust führte, würde sie von ihrem Vater nichts Schlimmeres zu hören bekommen, als wenn sie den Brief in seinem Sinne schrieb. Das gab den Ausschlag. Sie berechnete den Preis der Ware noch einmal auf der Rückseite eines der Vorlagenblätter und fand ihre Meinung bestätigt. Es ging um mehr als fünfhundert Gulden, und das war eine Summe, die sie nicht so leicht aus der Hand geben wollte.
    Veva schnitzte die Feder noch einmal zu und schrieb weiter. Als dieser Brief fertig war, war sie erleichtert. Dieser Zwischenfall beflügelte sie, sich auch die anderen Anweisungen ihres Vaters genauer anzuschauen. Mutig geworden, änderte sie noch ein paar Aufträge. Zwar waren die Summen, die sie hierbei herausschlagen konnte, nicht so bedeutend wie beim ersten Brief, doch sie sah nicht ein, warum sie auf das Geld verzichten sollte.
    Bei dieser Überlegung lächelte sie. Sie würde von diesem Geld keinen Kreuzer erhalten, weil alles in die Kasse ihres Vaters floss. Dann aber sagte sie sich, dass der Gewinn dennoch dem ganzen Haushalt und damit auch ihr zugutekam. Zufrieden faltete sie die Briefe zusammen, siegelte sie und rief nach einem der Hofknechte, die sich um die Handelsgüter kümmerten, damit dieser sie den jeweiligen Frächtern oder Geschäftsfreunden übergab, die den Weitertransport übernehmen würden.
    Für einen Augenblick fragte sie sich, ob sie Ernst einen Brief schreiben und ihm von der Hinfälligkeit ihres Vaters berichten sollte, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Seit ihr Ehemann – bei dem Wort lachte sie unfroh auf – nach Augsburg abgereist war, hatte sie keine Zeile und auch keine mündliche Nachricht von ihm erhalten. Also sah sie nicht ein, warum sie das Schweigen als Erste brechen sollte.

4.
    D as Leben ist ungerecht, dachte Rosi und biss die Zähne zusammen, als der Stock der Meisterin ihren Rücken traf. Jeder Schlag wurde von einer Beschimpfung begleitet. »Du nutzloses Ding! Du Trampel! Du elendes Biest! Der Teufel soll dich holen! Die schöne Schüssel! Die hast du nicht umsonst zerbrochen! Ich werde dich lehren, besser auf meine Sachen achtzugeben! Du wirst sie mir ersetzen! Bis sie bezahlt ist, bekommst du keinen Lohn mehr!«
    Schon nach dem vierten Schlag war Rosi in Tränen ausgebrochen. »Es tut mir leid, Herrin. Ich wollte sie nicht zerbrechen«, jammerte sie.
    Doch Frau Anna hieb zu, bis ihr der Arm lahm wurde, und versetzte der Magd zuletzt noch einen heftigen Tritt. »So, jetzt weißt du, was dir blüht, wenn du mich erzürnst! Die Schüssel stammt noch von meiner Mutter selig. Heutzutage wird so etwas Gutes gar nicht mehr

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