Die Ketzerbraut. Roman
und strich ihr über das Haar. »Die Zettel, die du erhalten hast, haben keinen Wert. Doch unser Herr Jesus Christus hat gesehen, dass du den Ablass in tiefer Liebe zu deinem Bruder erstanden hast, und wird die Gebete, die du für Bartl gesprochen hast, zu seinen Gunsten werten!«
Veva starrte ihn ungläubig an. »Du meinst, mein Gebet hätte eine größere Macht als ein Ablassbrief, der immerhin von Seiner Heiligkeit, dem Papst, gesegnet worden ist?«
»So steht es in der Heiligen Schrift! Gäbe es sie auf Deutsch, könntest auch du sie lesen. Doch genau deshalb besteht die Kirche darauf, dass sie nur in Latein gedruckt oder abgeschrieben wird. Auf diese Weise bleibt das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus dem Volk verborgen, und sie können es mit falschen Bullen und Erlassen betrügen.«
Verblüfft starrte Veva ihn an. Ernst war mit einem Mal ganz anders, als sie ihn in Erinnerung hatte. Früher hatte sie ihn für einen verwegenen Burschen gehalten, dem es Spaß machte, anderen ihre Grenzen aufzuzeigen. Bei dem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Verwegen war er immer noch, und er hatte den Männern um Kardinal Cajetanus einen abenteuerlichen Streich gespielt.
»Ich weiß zu wenig über diesen sächsischen Mönch und seinen Streit mit dem Papst, um mir ein Urteil erlauben zu können. Aber ich billige dein Verhalten. Wenn Kaiser Maximilian diesem Luther freies Geleit zugesichert hat, war es falsch von dem Kardinal, dagegen verstoßen zu wollen. Doch ich sehe, Nis kommt mit den Würsten zurück. Magst du noch ein Stück, oder drängt die Zeit?«
Ernst fand, dass die Versöhnung mit Veva es wert war, seinen Dienst eine halbe Stunde später anzutreten, und zog sein Messer. »Auf eine Wurst habe ich immer Appetit!«
»Und was ist heute Abend?«, fragte Veva. »Wirst du da wieder zu spät kommen?«
Ernst sah sie an und bedauerte, dass es noch nicht Abend war. »Nein, ich komme gewiss nicht zu spät«, versprach er und zwinkerte ihr zu.
12.
W ährend sich in Augsburg die Wogen zwischen Veva und Ernst glätteten, herrschte im Herzen der Magd Rosi in München trotz der sonnigen Oktobertage tiefste Finsternis. In der letzten Zeit war es ihr schon einige Male übel geworden, doch an diesem Tag war es besonders schlimm. Außerdem schmerzte sie der Rücken so, dass sie kaum Luft holen konnte.
Als sie einen Augenblick bei ihrer Arbeit innehielt, um sich zu strecken, hörte sie Frau Anna sofort keifen. »Mach schneller, du faules Ding! Glaubst du, ich bezahle dich fürs Nichtstun?«
Ein Rutenhieb ließ Rosi aufstöhnen. Sie wollte wieder zugreifen, krümmte sich aber in einem neuen Anfall von Übelkeit und stieß gegen den Tisch. Der Tonbecher, den sich die Herrin gerade mit Bier gefüllt hatte, kippte um und ergoss seinen Inhalt über die Tischplatte. Danach rollte er auf den Rand des Tischs zu. Rosi wollte ihn noch packen, griff aber daneben und sah voller Schrecken, wie das Gefäß auf dem Steinboden zerschellte.
Für einige Augenblicke herrschte Stille, dann begann die Meisterin zu schreien: »Du elendes Ding! Den Becher hast du mit Absicht umgestoßen. Es war mein Lieblingsbecher! Dafür wirst du bezahlen!«
Rosi wandte sich mit vor den Leib gepressten Armen zu ihr um. »Ich ersetze Euch den Becher, Frau Anna. Sobald ich hier fertig bin, werde ich zum Töpfer gehen.«
»Das würde dir so passen, die Arbeit schwänzen, um einen Becher zu kaufen. Nichts da! Das Geld dafür ziehe ich von deinem Lohn ab. Doch jetzt erhältst du erst einmal die Strafe für deine Ungeschicklichkeit!« Bei den letzten Worten begann die Frau, mit ihrem Stock auf die Magd einzuschlagen.
Rosi fiel auf die Knie und flehte die Heilige Jungfrau um Hilfe an.
»Die wird ausgerechnet dir helfen, du Lumpending! Aus Gnade und Barmherzigkeit habe ich dich in meine Dienste genommen, doch du dankst es mir mit Faulheit, Widerworten und der Zerstörung meiner liebsten Dinge!« Schäumend vor Wut schlug Frau Anna wieder und wieder zu.
Zuletzt vermochte Rosi es nicht mehr zu ertragen. Sie warf sich zu Boden und schrie sich schier die Seele aus dem Leib. Dann rebellierte ihr Magen, und sie würgte den Morgenbrei hervor.
Erst jetzt hielt Frau Anna inne und packte Rosi bei der Schulter. »Zieh dich aus!«, schrie sie.
Zunächst verstand Rosi nicht, was sie wollte. Erst als die Meisterin an ihrem Kleid zerrte, zog sie es über den Kopf und stand im Hemd da.
»Auch das muss herab!«
Rosi gehorchte zitternd. Frau Anna sah sie an
Weitere Kostenlose Bücher