Die Ketzerbraut. Roman
er in die Hände der berüchtigten Oberländer Bande geraten war. Die Schurken hätten ihn sogleich umgebracht und würden keine Lebensmittel an ihn verschwenden. Daher vermutete er, irgendeiner der kleinen Ritter in den Bergen habe ihn abgefangen, um Lösegeld zu erpressen. Wahrscheinlich war bereits ein Bote mit einem entsprechenden Brief nach München unterwegs, und da er fest davon überzeugt war, dass Veva alles tat, um ihn zu befreien, würde seine Gefangenschaft wohl nicht allzu lange dauern.
Dennoch hätte Ernst sich einen Menschen gewünscht, mit dem er sich unterhalten konnte, denn es fiel ihm schwer, den ganzen Tag ohne Licht und ohne einen Trost mit seinen Gedanken allein zu sein. Die Tageszeiten vermochte er nur dadurch zu unterscheiden, dass es in der Nacht im Kerker vollkommen dunkel war, während er am Tag wenigstens die Umrisse seiner Zelle erkennen konnte. Allerdings half ihm auch das nicht weiter, denn eine Flucht war unmöglich. Da hätte er sich schon in eine Maus oder besser noch in eine Schwalbe verwandeln müssen, um durch das kleine Luftloch unter der Decke entkommen zu können. Auch die Klappe, durch die er seine Mahlzeiten erhielt, war viel zu klein für einen ausgewachsenen Mann, und die Tür bestand aus dicken Eichenbohlen. Um diese zu zerschlagen, hätte er eine scharfe Axt gebraucht.
Daher blieb Ernst nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben und zu beten, dass bald jemand kam und ihn freiließ. Doch seine Zweifel wuchsen von Tag zu Tag, denn er musste an den entsetzlichen Schrei des Mannes denken, in dessen blutverschmierter Kleidung er nun steckte. Wer mochte der Ermordete gewesen sein?, fragte er sich immer wieder. Hatte es sich bei ihm um einen Gefangenen gehandelt, für den kein Lösegeld gezahlt worden war? Oder war er trotz Bezahlung des Lösegelds umgebracht worden, damit er seinen Entführer nicht verraten konnte?
Zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankend, wartete Ernst darauf, dass sich endlich eine Menschenseele sehen ließ. Spätestens dann, wenn der große Holzeimer, den man ihm als Abtritt hingestellt hatte, voll war, würde jemand in die Zelle kommen müssen. Bis dahin aber musste er den Gestank ertragen, der aus dem offenen Gefäß drang.
Der Eimer war etwa zu zwei Dritteln voll, als Ernst durch Geräusche geweckt wurde. Er schoss hoch und starrte gebannt auf die Tür. Tatsächlich klang es so, als würden die Riegel zurückgezogen. Er wünschte sich einen Dolch oder wenigstens einen Knüppel, um den Mann, der nun eintreten würde, zu überwältigen. Im nächsten Augenblick aber sah er auf die Spitzen zweier Speere, die vermummte Kerle auf ihn richteten. Ein Dritter schlurfte herein, stellte einen leeren Eimer hin, packte den vollen und trug ihn hinaus. Die beiden Bewaffneten folgten ihm auf dem Fuß und schlugen die Tür zu. Erst als Ernst hörte, wie die Riegel vorgeschoben wurden, wurde ihm klar, dass er vor Überraschung kein einziges Wort herausgebracht hatte. Jetzt ärgerte er sich darüber und überlegte sich, was er den Männern sagen sollte, wenn sie das nächste Mal in seine Zelle kamen.
12.
I n München wollte Eustachius Rickinger es nicht hinnehmen, dass jemand anderes zu Vevas Vormund ernannt worden war. Da weder der Innere noch der Äußere Rat die Sache zu seinen Gunsten entschied, drohte er zuletzt, die Angelegenheit vor den Herzog zu bringen.
An einem trüben Nachmittag berichtete Arsacius Bart Veva von Rickingers Auftritt. Als sie seine Schilderung vernahm, war sie froh, nicht Zeugin des Vorfalls gewesen zu sein, denn sie hätte sich wahrscheinlich so darüber aufgeregt, dass ihr Kind zu Schaden gekommen wäre.
»Von mir aus kann Rickinger um eine Audienz beim Herzog bitten. Herr Wilhelm wird seinetwegen nicht die geschriebenen Gesetze der Stadt missachten«, versuchte Bart Veva zu beruhigen.
Sie schüttelte immer noch fassungslos den Kopf. »Ich verstehe nicht, was meinen Schwiegervater antreibt. Er müsste doch wissen, dass der Rat nicht anders entscheiden kann.«
»Sein Versuch, sich zum Herrn über Euch und Euer Vermögen aufzuschwingen, ist schon auffällig«, sinnierte Bart. »Ich fürchte, dass mehr dahintersteckt, und habe mich vorhin mit ein paar Freunden darüber unterhalten. Sowohl Euer Bruder wie auch Euer Mann wurden in den Bergen umgebracht, und den Spuren nach zu urteilen, muss es diese Oberländer Bande gewesen sein, die leider Gottes noch immer ihr Unwesen treibt. Beide Male hat sich der Überfall für diese
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