Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
anzuvertrauen. Nacheinander stiegen sie die Stufen hinab, stützten sich an der Wand und fingen sich gegenseitig auf, wenn sie stolperten. Adelind wusste immer noch nicht, wie Peyres sie durch das Stadttor bringen wollte, doch gab sie es auf, darüber nachzudenken, sondern tat einfach einen Schritt nach dem anderen, denn sie wollte leben.
Sie erreichten den Gang zum Rittersaal, in dem es nun still geworden war. Nachtruhe herrschte in der Grafenburg, aus einigen Gemächern drangen Schnarchgeräusche, doch mitunter auch der harte Klang männlicher Stimmen. Jedes winzige Gemach schien belegt, denn so viele Ritter hatte dieser Bau wohl noch nie beherbergen müssen, doch wurden Adelind und ihre Gefährten von niemandem aufgehalten, sodass sie in den Innenhof der Burg treten konnten. Sie sog gierig die frische Nachtluft ein, deren Duft sie so lange hatte vermissen müssen. Über ihr lag eine endlose, von Mond und Sternen erleuchtete Weite. Auf einmal fühlte sie sich leicht und frei, verspürte den längst vergessenen Drang, ohne ein bestimmtes Ziel herumlaufen zu können, doch fehlte hierzu die Zeit. Sie eilte gemeinsam mit Peyres zum Burgtor, wo ihr Hochgefühl durch den Anblick mehrerer Wachmänner getrübt wurde. Sie kauerten auf dem Boden, hatten die Waffen niedergelegt und schnarchten laut, doch gab es keine Möglichkeit, an ihnen vorbeizukommen, ohne sie zu wecken.
Sie hielt den Atem an, als sie sah, wie Peyres an der Schulter eines der Männer rüttelte. Mit einem verärgerten Brummen richtete der breitschultrige Kerl sich auf und rückte seinen Helm zurecht.
» Was willst du alberner Gaukler um die Zeit? « , knurrte er Peyres an.
» Ich bringe drei Huren hinaus, die ihren Zweck erfüllt haben. «
Die übrigen Wachmänner rührten sich nun, um Adelind und ihre Gefährtinnen einer eingehenden Musterung zu unterziehen. Es fiel ihr auf einmal schwer zu atmen. Bei Rosas Verbrennung waren sie als Häretikerinnen vor dem versammelten Heer gestanden. Sie konnte nur hoffen, dass die Dunkelheit ihre Gesichtszüge unkenntlich machte.
» Du kannst die Weiber gern noch eine Weile bei uns lassen « , rief eine andere, jüngere Stimme, eindeutig in der Sprache des Languedoc. Adelind hatte bereits begriffen, dass einige Bewohner dieses Landes zum Heer übergelaufen waren, was sie sehr schmerzte. Sie spürte, wie eine Hand nach ihrem Knöchel griff, und kämpfte sich strampelnd frei.
» Das sind Huren für edle Herren, die sie morgen Abend wieder haben wollen « , mischte Peyres sich ein. » Ihr sollt das Tor bewachen. Wartet, bis ihr eine freie Nacht habt, und ich werde auch für eure Unterhaltung sorgen. «
Ein paar begeisterte Rufe und Pfiffe folgten auf dieses Versprechen, doch gleichzeitig wurde das Tor geöffnet. Peyres ging völlig gelassen hinaus, Adelind bemühte sich, seinem Beispiel zu folgen, streckte das Kinn hoch und tänzelte leicht beim Gehen, wie sie glaubte, dass es Huren taten. Wieder griffen Finger nach ihrem Gewand. Sie riss sich los, lachte dabei aber so kokett auf, wie sie es früher manchmal Marcia hatte tun hören. Olivette huschte mit gesenktem Kopf hinterher. Falls Esclarmondes behütete Tochter entsetzt über das Verhalten der Männer war, was Adelind wahrscheinlich schien, war sie klug genug, dies nicht offen zu zeigen. Dahinter schlich Hildegard.
» Die hat Goldhaar wie eine Fee « , hörte Adelind einen der Männer rufen. » So sah auch eines von den Ketzerweibern aus, die bei der Hinrichtung zusehen sollten. «
» Sie kommt aus dem Norden « , erklärte Peyres sogleich. » Das Ketzerweib vermutlich auch, denn dort haben viele Menschen solches Haar. «
» Man könnte dich um deine Reisen beneiden, Troubadour! Du hast dir die Welt, vor allem die Weiber, wirklich gut angesehen! « , grölte eine andere Männerstimme, und wieder folgte Gelächter, während das Tor hinter ihnen zufiel. Ein tiefer Atemzug kroch aus Adelinds Brust. Sie konnte kaum glauben, wie einfach es bisher gewesen war, sah sich noch einmal die hohen Mauern der Grafenburg an, der sie soeben entkommen war. Zwei Türme ragten in den Nachthimmel. In einem davon war vielleicht das wirkliche Gefängnis, wo immer noch der wahre Herr über diese Stadt in Ketten lag.
» Hätten wir nicht auch den Vescomte de Trencavel befreien können? « , wandte sie sich übermütig an Peyres, der ihr einen erstaunten Blick zuwarf.
» Er ist ein viel wichtigerer Gefangener als ihr und wird strenger bewacht. Ich fürchte, dem armen Kerl kann
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