Die Kinder der Elefantenhüter
Deckel hochgehoben.
»Petrus«, flüstert Tilte. »Kannst du dich an unsere Spritztour zum Leuchtturm erinnern?«
Ich schaue mich um, es dunkelt schon, wir sind allein.
Überflüssige Frage, das weiß Tilte genau, der Ausflugist unvergesslich. Wir fuhren im Maserati, Tilte drückte auf die Pedale und legte die Gänge ein, ich steuerte. Das ein Pflaster zu nennen, wäre viel zu schwach, aber tatsächlich wollte Tilte damals damit meine Wunde heilen, die sie mir zugefügt hatte, als sie und Jakob Bordurio und Kaj Molester mich im Glauben, ich würde den Goldenen Kämpferpokal des Finø Boldklubs überreicht bekommen, überredet hatten, vor zwölfhundert Personen auf die Bühne zu treten. Dabei wurde in Wahrheit die Wahl des Mister Finø abgehalten, ein Ereignis, das nicht nur eine Wunde, sondern ein tiefes Trauma hinterlassen hat. Indem sie dann auf dem Boden lag und die Pedale bediente, wollte Tilte Buße tun.
»Diesmal wird’s einfacher«, sagt Tilte. »Der Wagen hat eine Automatikschaltung, und du dürftest gerade so aus dem Fenster sehen können. Ich schlage vor, du bleibst im Korb und zählst langsam bis fünfhundert. Dann fährst du den Benz aus der Gasse und kommst hierher.«
Dann ist sie weg. Normalerweise könnte mein schon erwähnter Stolz es nicht ertragen, mit Tilte nach dem Grundsatz »Kenntnis nur, wenn nötig« zu arbeiten. Aber unsere Lage ist verzweifelt und lebensgefährlich, also ziehe ich den Deckel zu, rolle mich im Korb zusammen, fange an zu zählen und denke an die Toten auf dem städtischen Friedhof, die immerhin in vorteilhaften, geräumigen, kühlen und staubfreien Särgen ruhen.
Wer ein Suchender ist, das heißt, keine Gelegenheit versäumt, der Tür nachzuspüren, für den ist selbst eine scheinbar monotone Wartezeit inhaltsvoll. So ergeht es mir jetzt. Kaum habe ich bis hundert gezählt, höre ich, wie sich schlurfende Schritte nähern. Jemand übt sich im Weitspucken. Und mein Korb kriegt einen Tritt.
Andere hätten an meiner Stelle aua gerufen. Aber ich verhalte mich ganz still. Ich weiß nicht, sagt dir der Ausdruck »seine Schweine am Gang erkennen« etwas? Das ist nämlich hier der Fall. Ich habe das schlurfende Schwein am Gang erkannt.
Eine Hand wird in den Korb gesteckt. Es ist zu dunkel, man kann nicht sehen, ob die Hand blutbefleckt ist. Für mich ist sie sicher noch befleckt vom Saft der Pfifferlinge, die Kaj Molester Lander, dieser Yeti von einem Nachbarssohn, mir gestohlen hat.
Das heißt, ich lasse nicht auf mich warten. Ich schnelle empor wie eine Stahlfeder und zische:
»Suchst du was, Kaj?«
Für Bischöfin Anaflabia Borderrud hoffe ich, dass Kaj Molester Lander beim Århuser Ballett nicht zur selben Zeit wie sie zum Vortanzen geht. Er wäre eine harte Konkurrenz. Der Sprung, den Kaj jetzt vorführt, besitzt eine seltene Qualität: Man fühlt, dass der Springer nie wieder landet.
Was er schließlich doch tut. Und kaum ist er unten, ist er auch schon weg. Falls du die Redensart »Angst verleiht Flügel« kennst, hast du ein ziemlich genaues Bild von Kaj auf dem Weg durch die Pfarrhofkoppel.
Wenn ein Junge seine Eltern verloren hat, braucht er Trost, und etwas von diesem Trost spendet mir der Anblick des am Horizont verblassenden Kaj.
Während ich mich ganz diesem Gefühl überlasse, höre ich wieder Schritte hinter mir.
Viele wären zusammengefahren bei dem Gedanken, es könnte vielleicht Vera oder die Bischöfin sein, die sich im Dunkel nähert, und jetzt wären wir entdeckt und Tiltes Plan, wie auch immer er aussähe, wäre zerstört. Aber ichbewahre Ruhe und bleibe stehen, denn wieder habe ich, bevor ich sie sehe, mein Schwein am Gang erkannt.
Ich benutze die Gelegenheit, Alexander Bister Finkeblod näher vorzustellen, denn er ist es, und er spielt eine kleine, aber wichtige Rolle in unserer Geschichte.
Alexander Finkeblod wurde vom Unterrichtsministerium nach Finø geschickt, um den früheren Schulleiter Ejnar Tampeskælver, genannt »Der Fakir«, abzulösen. Ejnar war ein beliebter und geachteter Direktor, aber in den Augen des Festlands machte er sich unangenehm bemerkbar. Er war nämlich Vorsitzender der Separatistenpartei, die einen Sitz in der Bezirksverwaltung in Grenå hat und Finø von Dänemark loslösen und zu einem selbständigen Staat mit eigener Außenpolitik und Verwertung der Bodenschätze machen will. Und gleichzeitig war er Führer und oberster Priester der örtlichen Abteilung der Vereinigung Asathor , die bei Vollmond auf der Spitze
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