Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra

dulden.
    Philippa blätterte durch ihren Reiseführer. »Von einer rosa Festung in Lucknow steht hier allerdings nichts«, sagte sie.
    »Wir werden sie schon finden, wenn wir da sind«, beharrte Dybbuk.
    »Mit dem Flugzeug ist dieser Ort nicht ganz leicht zu erreichen«, sagte Groanin, der die Karte studierte. »Vermutlich müssen wir über Kalkutta fliegen.«
    »Kommt nicht in Frage«, sagte Dybbuk. »Kalkutta liegt genau in der entgegengesetzten Richtung. Außerdem, wer hat irgendwas von einem Flugzeug gesagt?«
    »Du willst doch wohl nicht vorschlagen, mit einem Wirbelsturm dorthin zu reisen«, sagte Groanin.
    »Warum nicht?«, sagte Dybbuk achselzuckend. »Unsere Kräfte sind komplett wiederhergestellt.«
    »Ich habe noch nie einen Wirbelsturm entfesselt«, gestand Philippa.
    »Ich auch nicht«, sagte John.
    »Aber ich«, sagte Dybbuk. »Bin damit von Palm Springs bis zum Haus meiner Tante Felicia im Hudson River geflogen.«
    »Und hättest es fast nicht geschafft«, erinnerte ihn Philippa. »Das hast du selbst gesagt.«
    »Nur weil ich zu weit nach Norden geflogen bin. Ich hätte mich weiter südlich halten müssen, wo es wärmer ist. Erst bis nach Florida und dann die Ostküste rauffliegen sollen. Außerdem sind wir jetzt in Indien und, falls ihr das noch nicht gemerkt habt: Es ist heiß. Hier werden meine Dschinnkräfte bestimmt nie den Geist aufgeben.«
    Doch am nächsten Tag – dem Tag, an dem sie nach Lucknow hatten fliegen wollen – war es nicht Dybbuks Dschinnkraft, die den Geist aufgab, sondern sein Magen. Schon beim Aufwachen fühlte er sich krank. »Als würde mir jemand mit der Faust die Innereien zusammendrücken«, sagte er elend.
    »Du hättest gestern Abend nicht so viel Curry essen sollen «, sagte Groanin, voller Genugtuung darüber, dass er in puncto ›exotisches Essen‹ endlich einmal Recht behalten sollte. »Ich habe dir gesagt, du sollst von diesem indischen Fraß die Finger lassen. Vielleicht findest du es jetzt nicht mehr ganz so lustig, dass ich sterilisierte Babynahrung dem Zeug vorziehe, das du gestern Abend in dich reingestopft hast.«
    »Das Curry kann es nicht gewesen sein«, sagte Philippa. »Wir haben es alle gegessen. John, Dybbuk und ich. Und mir geht’s gut.«
    John schwieg schuldbewusst und hoffte, niemand würde sich mehr an Groanins Wunsch vom Vortag erinnern – dass Dybbuk am eigenen Leib erfahren möge, wie es war, einen schlimmen Magen zu haben. John hatte wirklich nicht die Absicht gehabt, diesen Wunsch zu erfüllen, aber da er zum ersten Mal seit langem wieder seine Dschinnkräfte gespürt hatteund nach dem langen Flug von London immer noch ein wenig erschöpft gewesen war, hatte er ihn wohl irgendwie wahr werden lassen. Unbewusste Wunscherfüllung nannte Nimrod es, wenn ein unerfahrener Dschinn einen Wunsch erfüllte, ohne es selbst zu merken. Jetzt stellte John mit Schrecken fest, dass Groanin diesen Wunsch völlig ernst gemeint hatte.
    »Kannst du dich nicht einfach wieder gesund wünschen?«, fragte er Dybbuk. »Mit Dschinnkraft?«
    »Glaubst du, das hätte ich noch nicht versucht?«
    John nickte. In Wirklichkeit hatte er selbst schon versucht, Dybbuks verdorbenen Magen mit Dschinnkraft zu heilen, aber da er nicht sicher gewesen war, wie er es anstellen sollte, hatte er es vermutlich noch schlimmer gemacht. Genau ließ sich das nicht sagen.
    »Ihr müsst den Wirbelsturm selbst entfesseln«, flüsterte Dybbuk. »Mir geht es dafür viel zu schlecht.« Als er die unsicheren Blicke sah, die sich die Zwillinge zuwarfen, fügte er hinzu: »Nur die Ruhe. Ihr kriegt das schon hin. Es ist nichts dabei. Außerdem müsst ihr es irgendwo ausprobieren, also könnt ihr genauso gut hier damit anfangen.«
    Groanin schüttelte den Kopf und sagte: »Wenn ihr nichts dagegen habt, nehme ich doch lieber das Flugzeug.«
    »Keine Sorge, Mr   Groanin«, flüsterte Dybbuk und hielt sich den Bauch. »Ich werde ihnen sagen, was sie tun müssen.« Er lächelte schwach. »Überlegen Sie mal. Wenn Sie mit dem Flugzeug abstürzen, haben Sie überall zerfetztes Metall um sich rum. Wenn Sie dagegen mit einem Wirbelwind runtergehen, dämpft die Luft Ihren Fall. Nichts ist sicherer als ein Luftkissen, glauben Sie mir.«
    Groanin schloss die Augen und nickte. »Ich weiß genau, dass ich das bereuen werde«, sagte er. »Ich weiß es ganz genau.«
     
    Sie gingen zu einem steilen Hügel im Westen der Stadt. Dieser bot einen umwerfenden Blick auf das Tal von Kathmandu, das, laut Philippas