Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
Straße auf und ab. »Was der arme Kerl, den Sie gerade durch die Luft geworfen haben, nicht gerade behaupten kann.«
»Zum Glück hatte ich Handschuhe an«, sagte My. »So ein Schmutzfink. Hoffen wir, dass der Sturz ihm den Verstand ein wenig zurechtgerückt hat.«
»Ja, hoffen wir es«, sagte Nimrod.
»Er hat mich mehrere Kilometer lang verfolgt«, berichtete My. »Zweifellos mit der Absicht, mich auszurauben. Das ist eine der Gefahren, wenn man als alte Frau einen Rolls-Royce fährt.«
»Vielleicht sollten Sie etwas anderes fahren«, schlug Nimrod vor.
»Oh nein, das könnte ich nicht. Es ist so ein guter Wagen.«
»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich Nimrod.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht, Nimrod. Ich platze nur ungern unangemeldet herein, vor allem, wenn ich feststellen muss, dass die Leute mir selbst die Tür öffnen. Ich schließe daraus, dass Sie ohne Butler sind.«
»Wie klug von Ihnen«, sagte Nimrod.
»Gehört zum Einmaleins«, sagte My. »Ich hoffe, Mr Groanin fehlt nichts.«
»Groanin ist in Urlaub«, erklärte Nimrod und bat sie ohne weitere Verzögerung ins Haus. »Ich muss mich selbst versorgen.«
»Das dürfte nicht allzu schwer sein, wenn man bedenkt, wer und was Sie sind«, meinte My.
My war eine alte Freundin von Nimrod und einer der wenigen Menschen auf der Welt, die wussten, dass er ein Dschinn war. Nimrod hingegen wusste, dass My ihn nur dann zu Hause aufsuchen würde, wenn das Land – oder womöglich die ganze Welt – von irgendeiner Krise bedroht war.
Nimrod führte My in den Salon und bat sie, Platz zu nehmen.
»Möchten Sie Tee?«, fragte er sie.
»Ja, bitte«, sagte My, ohne nachzudenken.
»QWERTZUIOP!«, sagte Nimrod, und im Handumdrehen erschienen ein Beistelltischchen mit einer gestärkten weißen Tischdecke, einer silbernen Teekanne samt wunderschönen Tassen, Kuchen, Teegebäck und Gurkensandwiches.
»Du meine Güte«, sagte My. »Wie lieb von Ihnen.«
Nimrod schenkte My eine Tasse Tee ein. »Ich hoffe, er schmeckt Ihnen. Der Tee ist einfach nicht derselbe, wenn ich ihn selbst zubereiten muss. Ich bin froh, wenn Groanin wieder da ist. Er ist wirklich ein ausgesprochener Griesgram, kann aber exzellent Tee kochen.«
My schlürfte ihren Tee und spreizte dabei vornehm den kleinen Finger ab, wie sie es als kleines Mädchen in Indien gelernt hatte.
»Köstlich«, sagte sie. »Aber wenn Sie so etwas wieder tun, warnen Sie mich das nächste Mal bitte im Voraus. In meinem Alter sind Überraschungen manchmal ein wenig zu überraschend.«
»Natürlich«, sagte Nimrod. »Es war unhöflich von mir, Sie nicht darauf hinzuweisen. Aber wenn ich das sagen darf, meine Liebe, Sie sehen ausgesprochen elegant aus. Dieser Hut kleidet Sie ausgezeichnet.«
My lächelte. »Das ist mein Ascot-Hut«, sagte sie. »Ich bin auf dem Weg zur Rennbahn, weil ich um halb vier ein Pferd am Start habe. Seit über zwanzig Jahren wünsche ich mir nichts mehr, als ein Pferd zu besitzen, das den Ascot Gold Cup gewinnt.«
»Viel Glück«, sagte Nimrod.
»Das ist der Grund meines Kommens«, sagte My. »Glück scheint dieser Tage eher Mangelware zu sein.«
»Meinen Sie das persönlich, My, oder ganz allgemein?«
»Allgemein«, sagte My. »Meiner Abteilung liegen Berichtevor, dass im Moment deutlich mehr Unglück geschieht, als es normalerweise der Fall ist.«
»Mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen«, sagte Nimrod.
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.«
My seufzte.
»Hören Sie, Nimrod, es tut mir leid, Sie in dieser Angelegenheit zu bedrängen, aber ich war der Auffassung, dass die Dschinn die selbst ernannten Hüter des Glücks im Universum seien. Dass es drei gute Stämme gibt, die das Glück befördern, und drei schlechte Stämme, die das Gegenteil versuchen. Und dass ein Gleichgewicht der Kräfte existiert, welches Sie Homöostasis nennen, bei dem es weder zu viel Glück noch zu viel Unglück gibt. Und dass es außerdem ein Instrument gibt, eine Art Uhr, das Glücksmeter heißt und den Zustand der Homöostasis permanent anzeigt. Ist das richtig?«
Nimrod nickte. »Ihre Beschreibung ist vollkommen zutreffend, meine Liebe.«
»Dürfte ich Sie dann fragen, wann Sie zuletzt auf dieses Glücksmeter geschaut haben?«
»Genau genommen gibt es nicht nur eins, sondern mehrere Glücksmeter. Ein Exemplar habe ich hier in London und ich habe erst heute Morgen einen Blick darauf geworfen. Ein weiteres befindet sich in meinem Haus in Kairo. Sollte mein Londoner Exemplar jemals
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