Die Kinder des Ketzers
seinen Bruder nicht lieber seinem Schicksal überlassen sollte, statt sich mit Mergoult junior anzulegen, doch schließlich kam er zu der Überzeugung, dass man als großer Bruder eine gewisse Fürsorgepflicht besitzt und dass Frederi ihm vermutlich das Fell über die Ohren ziehen würde, wenn er erfuhr, dass er Frederi Jùli bei der momentanen Gefährlichkeit der Straßen allein in Ais hatte herumlaufen lassen. Also gut. Auf in den Kampf.
Fabiou drängelte sich durch die Menge hindurch, bis er neben Jean und Frederi Jùli stand. Bruder Antonius folgte ihm auf den Fuß.
«Tag, Jean. Frederi, wir müssen nach Hause.» Fabiou griff nach Frederi Jùlis Hand.
«Na, so etwas. Hast du gesehen, Andréu? Der Herr Poet!» Jean de Mergoult gluckste vergnügt. Neben ihm setzte Andréu d’Estrave ein bösartiges Grinsen auf.
«Frederi, komm schon!», rief Fabiou, den beiden Jungs einen ärgerlichen Blick zuwerfend. Seltsam – er hatte schließlich Mördern mit gewetzten Klingen ins Auge gesehen. Warum ließ er sich noch immer von diesen beiden Idioten einschüchtern?
«Ich will aber hierbleiben und zugucken!», erklärte Frederi Jùli.
«Zugucken? Wobei?», fragte Fabiou ärgerlich.
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«Oh, da sind Cristino und Catarino!», rief Frederi Jùli statt einer Antwort aus. Seufzend sah Fabiou in die Richtung, in die Frederis ausgestreckte Hand wies. In der Tat. Die lieben Schwestern. Mit Mergoult dem Älteren an ihrer Seite und Loís im Schlepptau. Jean hatte die beiden jetzt offensichtlich auch erblickt. «He, Alexandre, hier sind wir!», rief er.
«Ach… schaut mal, mein Bruder ist auch da!» Alexandre dirigierte die beiden Damen in ihre Richtung.
«Himmel, ist das ein Gedränge!», schimpfte Catarino, als sie sie erreichten. «Was ist hier heute eigentlich los?»
Mergoult – der Große – drehte sich verblüfft zu ihr um. «Das wisst Ihr nicht?», fragte er erstaunt.
«Nein… wieso, ist es etwas Besonderes?», fragte Catarino erstaunt.
«Sieht aus, als gäb’s hier etwas umsonst», knurrte Fabiou missmutig. Er fühlte sich alles andere als wohl mit der ganzen Familie Mergoult im Umkreis.
Frederi begann, auf beiden Beinen herumzuhüpfen. «Ich weiß, was hier los ist, Jean hat’s mir gesagt, ich weiß es!», schrie er aufgekratzt.
«Was denn? Los, Frederi, sag’s mir!», verlangte Catarino. Frederi Jùli machte einen neuerlichen Hopser und rief: «Die Hexe wird hingerichtet! Deshalb sind all die Leute da!»
Keiner sagte ein Wort. Catarino zog die Oberlippe hoch, als habe sie gerade in einen extrem unreifen Apfel gebissen. Cristino wurde kreideweiß. Fabiou drehte sich um, langsam, Stück für Stück, und starrte auf die Pin de Genas, deren breite Äste einen tiefen Schatten über die Häuser zur Rechten warfen. Neben ihm bekreuzigte sich Bruder Antonius.
«Kannst du mich hochheben, Antonius?», fragte Frederi Jùli.
«Ich seh’ gar nichts!»
«Ach, so toll ist das eh’ nicht», meinte Jean de Mergoult abwertend. «Sie wird ja nur gehängt. Das ist nichts Besonderes. Hab’ ich schon hundertmal gesehen.»
«Ja, Mann, ist echt blöd, dass sie sie nicht verbrennen», sagte Andréu d’Estrave. «Das wäre doch mal was anderes. Überhaupt sagt mein Vater, eigentlich gehören alle Hexen verbrannt, auch wenn 732
sie dem Teufel abschwören. Weiß man’s denn, ob sie’s ernst meinen, wenn sie abschwören, und den Richter nicht bloß anlügen?»
«Die sind halt alle viel zu weich heute mit den Ketzern», bestätigte Jean.
«Antonius, du musst mich hochheben!», schrie Frederi Jùli. Fabiou hatte bisher nicht daran geglaubt, dass einem Menschen die Haare zu Berge stehen können, wie man so schön sagt. Jetzt wurde er eines Besseren belehrt. Antonius’ graue Strähnen standen rund um die Tonsur kerzengrade zum Himmel. «Na, ich weiß
nicht, muss das denn sein, dass wir uns das anschauen?», fragte Catarino mit verzogenem Gesicht. «Das ist doch sicher… eklig, so eine Hinrichtung.»
«Eklig?» Alexandre de Mergoult schüttelte fassungslos den Kopf. «Mädchen, was hier geschieht, geschieht zum Wohl des Allgemeinwesens. Um dieses Land vor Hexerei und Zauberkraft zu bewahren. Vor dem Werk des Teufels! Es geschieht zu unserer aller Rettung!»
«Hm. Na ja», machte Catarino. Sie sah reichlich betreten drein.
«Fabiou, lass uns gehen», flüsterte Antonius. «Lass uns gehen, bitteee!»
«Oh Mann», meckerte Frederi Jùli, «dann geh’ ich halt weiter vor!» Er drängelte sich durch die wartenden
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