Die Kinder des Ketzers
Fabiou. «Er ist ein Adliger. Sie können ihn nicht einfach töten. Sie werden ihm einen ordentlichen Prozess machen. Vielleicht hat er ja Glück, ich meine, was hat er schon groß getan, außer Mergoult wegen der Sache mit der Hexe anzugreifen! Deswegen kann man doch keinen hinrichten, oder?»
Loís antwortete nicht. Er weinte.
Sie ritten weiter. Die Sonne näherte sich dem Zenit, als sie die Durenço überquerten. Sie mussten langsam reiten; Loís war so erschöpft, dass er sich kaum im Sattel halten konnte. Sie erreichten das Waldstück, in dem sie am Vorabend mit den Mergoults zusammengestoßen waren, eine halbe Ewigkeit schien das jetzt her zu sein. Danach führte die Straße wieder aufs offene Feld hinaus. Eine unbarmherzige Sonne stand am Horizont, sendete glühende Strahlen auf das Land herab. Loís schwankte in ihrem gnadenlosen Glanz, sein Gesicht war blass und schweißbedeckt, er sah aus, als habe er Fieber. Fabiou fragte, ob sie lieber anhalten sollten, aber er wollte so schnell wie möglich nach Ais und Hilfe für Senher Couvencour holen. Fabiou war grenzenlos erleichtert, als das nächste Waldstück kam und sie sich endlich unter den schützenden, schattenspendenden Kronen der Bäume befanden. Zwar war es auch hier heiß, die Hitze stand zwischen den Bäumen wie in einem Dampfbad, doch wenigstens waren sie nicht länger den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt. Langsam ritten sie weiter. Friedlich lag der Wald zu beiden Seiten, kaum ein Vogel war zu hören, es war einfach zu heiß dazu, 812
jede vernünftige Kreatur hatte sich im Schatten verkrochen und war bemüht, sich nicht unnötig zu bewegen.
Und aus der grenzenlosen Stille des Waldes stürzte ein kleines, zerzaustes Wesen, kullerte den Hang zur Linken herunter, stolperte auf den Weg hinaus, wo es mitten auf der Straße auf die Knie fiel. «Fabiou», sagte es.
Er fiel mehr vom Pferd herunter, als dass er abstieg, doch noch schneller war Loís, glitt vom Pferd herab, humpelte auf das Wesen zu, das er mit beiden Armen umklammerte. «Frederi!», schrie er.
«Oh Gott, Frederi!»
Fabiou war neben ihnen auf die Knie gesunken, streichelte mit zitternden Händen das Gesicht des Knabens, das so grau war wie der Fels zu ihren Füßen, die Augen verschwunden in tiefen, schwarzen Höhlen. «Nicht weiterreiten, Fabiou», sagte Frederi Jùli. «Es ist eine Falle. Der Genevois wartet dahinten. Er will dich töten.»
Loís heulte. Über seine Hände strömte Blut, tropfte auf den Boden unter Frederi Jùlis zierlichem Körper, durchtränkte sein verschmutztes Hemd. «Frederi», schluchzte er. «Frederi.»
«Mann, bin ich froh, dass dir nichts passiert ist, Loís», murmelte Frederi.
Fabiou packte Loís an der Schulter. «Wir müssen weg hier!», krächzte er. «Gib ihn mir, dir geht’s doch nicht gut.» Er zerrte Frederi Jùli dem schluchzenden Loís aus den Armen. Er begann am ganzen Körper zu zittern. Frederi Jùlis Wams war über und über mit Blut durchtränkt. Er schleppte den Jungen zum Pferd, hielt ihn an einer Hand fest, während er in den Sattel kletterte, und Frederis Füße knickten ein und er hing an seiner Hand wie eine leblose Gliederpuppe, der Kopf baumelnd, die Hand schlaff nach unten hängend. Blut tropfte mit einem gleichbleibenden Plock-Plock von dieser Hand auf den Felsen. Fabiou zog Frederi Jùli nach oben, setzte ihn vor sich in den Sattel und umklammerte ihn mit einem Arm. «Komm, Loís!»
Er redete die ganze Zeit auf Frederi Jùli ein, während sie den Weg zurückgaloppierten und die Pferde dann nach rechts, auf das freie Feld lenkten. Dass alles gut würde, dass er ihn nach Hause brächte und dass Docteur Grattou ihn wieder ganz gesund machen würde. 813
Und gleichzeitig betete er. In seinem ganzen Leben hatte er nicht so viel gebetet wie an diesem einen Tag. Bitte, lieber Gott, betete er, lass nicht zu, dass er stirbt. Wenn unbedingt einer sterben soll, dann lass das mich sein, aber bitte nicht meinen Bruder!
***
Sébastiens wütenden Protesten zum Trotz, der nicht aufhörte, darauf hinzuweisen, dass eine solche Behandlung eines Edelmannes unwürdig und ein Verstoß gegen jede Ritterehre war, ließ Alexandre de Mergoult den beiden wie zuvor Loís die Hände auf den Rücken fesseln, bevor er sie wieder auf die Pferde setzen ließ, um sie zur Burg hinaufzubringen. «Reine Vorsichtsmaßnahme», meinte er grinsend. «Damit ihr nicht auf dumme Gedanken kommt.»
«Wieso sollten wir?», fragte Arnac. Seine Nase sah etwas
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