Die Kinder des Ketzers
deshalb können wir Cristino doch 933
nicht einfach im Stich lassen! Ihr habt sie als Eure Tochter angenommen! Ihr seid verantwortlich für sie, versteht Ihr nicht?»
Frederi zitterte so sehr, dass er die Wand loslassen musste. Einen Moment lang starrte er Fabiou mit diesem seltsamen, fahrigen Blick an, dann schüttelte er den Kopf und schritt zum Haus zurück. Fabiou fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen vor Enttäuschung und Ratlosigkeit. «Das könnt Ihr nicht tun!», schrie er Frederi hinterher, der ohne einen Blick zurück die Treppe hinaufstieg. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.
«Brüll hier nicht so ‘rum», schrie Onkel Philomenus. «Überhaupt, was fällt dir eigentlich ein, dich so unverschämt deinem Vater gegenüber zu benehmen?»
Fabiou war fassungslos. Er hätte schreien können, so fassungslos war er. Cristino, es geht um Cristino, versteht ihr denn nicht, hätte er brüllen mögen. Seine Beine waren schwer, als er zu Sébastien hinüberstapfte, der müde am Sattel seines Pferdes lehnte. Er hatte Mühe zu sprechen, ohne dabei in Tränen auszubrechen. «Sébastien, was machen wir nur?»
Sébastien zuckte mit den Achseln. «Erst mal essen», meinte er.
«Ah – da ist Jacque ja endlich.» Jacque kam aus der Scheune auf ihn zugelaufen. Er winkte mit einem Laib Brot und einem Krug Wasser. «Danke schön», flötete Sébastien in reinstem Provenzalisch, riss Jacque das Brot aus der Hand und begann, es hinunterzuschlingen. «Entschuldigung, wenn ich pietätlos wirke», nuschelte er kauend, «aber ich habe seit drei Tagen nichts gegessen. Und ich brauche meine Kräfte schließlich heute noch!»
«Wie bitte?»
Sébastien seufzte und biss erneut in das Brot. «Ich kann Arnac nicht im Stich lassen – Arnac oder wer immer er in Wirklichkeit ist. Und wenn sonst keiner dazu bereit ist… na, dann muss wenigstens ich ihm zu Hilfe kommen.»
«Was hast du vor?»
Er zuckte mit den Achseln. «Ihm nachreiten. Nach Santo Anno dis Aupiho.»
«Aber du weißt nicht, was dich da erwartet! Jesus, was meinst du, warum Arnac wollte, dass du Hilfe holst? Wenn er geglaubt 934
hätte, dass ihr zu zweit auch nur das Geringste ausrichten könntet, dann hätte er dich stattdessen gleich mitgenommen.»
«Ich weiß.» Er seufzte wieder und kaute weiter. «Aber er ist mein Freund. Man lässt seine Freunde nicht im Stich. Das ist unehrenhaft.»
«Verflucht, Sébastien, so darf das alles doch nicht enden!», schrie Fabiou verzweifelt. Sébastien brachte das Kunststück zuwege, gleichzeitig zu kauen und selbstgefällig zu grinsen. «Warum nicht?
Ist doch ein echt romanesker Abgang, oder? Das müssen mir die Hofschranzen in Paris erst mal nachmachen!»
«Oh, Scheiße!», schrie Fabiou wütend.
Und die Tür flog auf.
Auf der Schwelle stand der Cavalié. Im Licht, das aus der Pförtnerloge fiel, sah er aus wie ein Geist, bleich, dünn, fern und leer seine geweiteten Augen. Er hatte den Reisemantel abgelegt und gegen ein kurzes Wams ausgetauscht, das deutlich den Degen an seiner Seite freigab. Es wirkte alt und abgetragen. Seltsamerweise ließ ihn das um Jahre jünger aussehen.
Keiner sagte ein Wort, während Frederi de Castelblanc über den Hof schritt, auf Fabiou und Sébastien zu. In der rechten Hand hielt er einen Waffengurt mit Scheide, in der ein weiterer Degen steckte. Er blieb stehen, die Augen fest auf Fabiou gerichtet. «Und?», fragte er. «Kommst du mit?»
Fabiou schluckte. Er nickte.
«Gut.» Der Cavalié warf ihm den Degen zu. Fabiou fing ihn mit Mühe auf. Er starrte auf den Griff. Er war sich nicht sicher, doch er meinte zu erkennen, dass es Cristous Degen war.
«Was ist mit Euch?», fragte Frederi Sébastien.
Sébastien hatte das Brot vertilgt und spülte es gerade mit einem ganzen Krug Wasser herunter. Er setzte den Krug ab. «Arnac ist mein Freund», meinte er würdevoll und klang dabei so heroisch, dass eigentlich nur noch eine Bemerkung im Stil von ‹und lieber sterbe ich, als ihn im Stich zu lassen› gefehlt hätte. «Schön», sagte der Cavalié. «Beatrix?»
«Ja, Frederi?» Sie trat vor. Sie wirkte plötzlich extrem ruhig. 935
«Du musst meine Familie hier wegbringen. Wenn wir scheitern, wovon ich ausgehe, könnte es sein, dass sie in Gefahr gerät. Bring sie nach – du weißt schon, wohin.»
Beatrix schüttelte den Kopf. «Ich werde mit euch gehen.»
«Nein, das wirst du nicht!», sagte Frederi entschieden. Sie blinzelte. «Früher hättet ihr mich mitgenommen. Pierre
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