Die Kinder des Teufels (German Edition)
hatte auch schon eine Idee, wer das sein könnte. Dazu brauchte er die Erlaubnis des Bischofs. Am besten, er machte sich gleich auf den Weg.
«Betet für Euren Sohn. Ich werde Hilfe holen.»
Heute würden sie den ersten Erkundungsgang in die neue Welt unternehmen. Kathi hoffte, dass Michael nur das Gute sah. Das Schlechte würde noch früh genug kommen.
Eine geschlossene Schneedecke erstreckte sich über den Marktplatz. Sie verbarg all den Unrat und den Schmutz der Menschen und Tiere unter sich. Das war ein guter Anfang. Auch der Gestank der Straßen war wie gefangen. Kein Lärm, kein Gezeter, keine Besagungen und schon gar kein Urteilsspruch. Nicht die Spur. Sie seufzte zufrieden.
Kathi musste nachdenken, wann ihr die Stadt das letzte Mal so wohlgesinnt war. Es musste Monate her sein. Am Ende des Frühlings war es gewesen, als der Wahnsinn sich eine Pause gegönnt und das Leben eine neue Chance bekommen hatte. In den wenigen Wochen des Friedens waren die Bürger wieder zur Besinnung gekommen, hatten Kraft und Hoffnung geschöpft. Der Handel war wieder aufgeblüht und hatte Geld und Vertrauen in die einst so angesehene Stadt am Main gespült.
Auf den Frühling folgte der Sommer, der keiner war. Die Stimmung begann sich erneut zu verschlechtern. Regen, Hagel und Kälteeinbrüche begruben die Hoffnungen auf eine reiche Ernte. So wie das Geld in die Stadt geflossen war, so versickerte es nun im Wucher. Unmut und Verzweiflung gediehen. Sie gebaren die altbekannte Angst vor dem Bösen und der Schuld, die man auf sich geladen hatte. Wie sonst war es zu erklären, dass man so gestraft wurde.
Auf die schutzlosen alten Frauen waren die verhassten Nachbarn gefolgt, danach kamen die korrupten Stadträte und Beamte, ausbeuterische Händler und schließlich die Kinder. Sie alle zahlten für die Schuld, die sie in den Augen anderer auf sich geladen hatten, mit ihrem Leben. Niemand war mehr sicher, selbst die eigentlich unantastbaren Diener Gottes nicht. Vikar Ludwig, Kathis strenger Schulmeister, war nur knapp der Verfolgung durch den Hexenkommissar Faltermayer entkommen. Allein der Fürsprache des mächtigen Propstes von Stift Haug war es zu verdanken, dass er ungeschoren davonkam. Aber das war nur ein Freispruch auf Zeit.
Andere Geistliche, weit vernarrter und rücksichtsloser als der bedauernswerte Vikar, rückten in den Mittelpunkt des allgemeinen Ärgernisses. Sie schienen vom rechten Weg abgekommen zu sein, hurten, tranken und pöbelten, wie es ein verdorbener Landsknecht nicht schlimmer hätte machen können. Auch wenn es nur wenige waren, meist Stiftsherren adeliger Herkunft, so rissen sie den ganzen Stand mit ins Zwielicht. Ihre Verehrung im Volk und der ihnen entgegengebrachte Respekt schwanden.
Diener Gottes wie Diener des Teufels missachteten die Gesetze, bedienten sich magischer Rituale, um ihre Botschaft vom Heil zu verkünden, standen mit dem Jenseitigen in Verbindung und setzten alles daran, sich über den anderen zu erheben.
Wie also konnte man noch den Diener Gottes von einem Diener des Teufels unterscheiden? Oder war es einerlei, wenn man ohnehin nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hatte? Beide zielten auf den eigenen Erfolg ab und verloren dabei das Wohl der Menschen aus dem Auge.
Kathi stellte sich diese Fragen mittlerweile nicht mehr. Ihre Ehrerbietung dem priesterlichen Stand gegenüber war verflogen, seitdem sie durch den Verrat von Vikar Ludwig fast auf dem Scheiterhaufen gelandet war. Er war von einem überzeugten Diener Gottes zu einem Knecht seiner eigenen Unzulänglichkeit geworden. Vernarrt und von Ehrgeiz zerfressen, hatte er nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Sein Erfolg war der Mittelpunkt seines Strebens geworden anstelle der Unversehrtheit der ihm anvertrauten Kinder. Mehr als ein Dutzend seiner Schutzbefohlenen war dem reinigenden Feuer oder der Klinge des Scharfrichters zum Opfer gefallen. Bevor sie diese Welt verließen, rissen sie noch andere mit ins Unglück – Eltern, Lehr- und Schulmeister, Konkurrenten und Geschwister. Niemand war vor ihrem Zorn sicher, niemand sollte sich einbilden, sie allein trügen die Schuld am Versagen aller.
Kathi seufzte. Es war eine gute Entscheidung gewesen, den Ausflug mit Michael gleich am frühen Morgen zu unternehmen. Noch schien die Stadt zu schlafen, nirgends auf ihrem Weg war eine Seele zu sehen. Unten am Fluss lagen die schneebedeckten Fischerboote vertäut am Ufer, das Wasser des Mains floss sanft dahin, und am
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