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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Bodo fiel auf den Boden, das Fahrrad kippte zur Seite, die Henkel der überladenen Tragetasche rissen ab, und die Tasche fiel Bodo genau auf den Schoß. Das nahm er als einen Wink des Himmels.
    Er rappelte sich auf, preßte die Tasche der Frau gemeinsam mit seiner eigenen an die Brust und machte sich eiligst davon. In dem allgemeinen Geschiebe und Gedränge bemerkte niemand, daß er sich mit fremdem Eigentum bereicherte. Als die Frau zwei Minuten später aus dem Geschäft kam, war er schon um die Ecke und außer Sicht. Er hatte Herzklopfen und machte sich Vorwürfe. Nicht, weil er die Tasche gestohlen, sondern weil er das Fahrrad nicht gleich mitgenommen hatte. Wenn ich mit der Karre abgehauen wäre, dachte er, müßte ich jetzt nicht den ganzen Weg zurücklatschen! Das nächstemal laß ich mir eine so günstige Gelegenheit nicht entgehen! Man ist eben immer zu anständig!
    Vor dem Ort setzte er sich in einen Graben und sah nach, was die Tasche enthielt. Er fand Butter, Fleisch, Wurst, Käse, Marmelade, Honig, zwei Rollen Keks, Schokolade, Salz, Zigaretten, Mehl, Backaroma und eine Flasche Weinbrand. Mensch, dachte er, der Ramsch kostet doch mindestens 50 Mark! Die Alte scheint eine große Familie zu haben. Nun kann sie alles noch mal kaufen. Er riß eine der Keksrollen auf und futterte so lange, bis er nur noch das bunte Papier in der Hand hielt. Die Dinger sind nicht übel, dachte er, die schmecken verdammt nach mehr. Einen Augenblick zögerte er, die zweite Rolle aufzureißen, er sah Willy und Birgit und Walter vor sich, die noch so klein waren und so gerne Süßigkeiten naschten und sich bestimmt riesig über die Kekse freuen würden, aber dann sagte er sich, daß er die Kekse ja schließlich geklaut hätte und all die andern Sachen noch dazu und darum mehr bekommen müßte als sie. Ich habe noch einen Marsch von zwei Stunden vor mir, dachte er, da hab' ich ein Anrecht auf was Besonderes. Damit war sein Gewissen beruhigt.
    Bevor er weiterwanderte, packte er einiges aus dem gestohlenen Plastikbeutel in seinen um, weil er beide so besser tragen konnte. Dabei fiel die Schnapsflasche heraus und rollte ein Stück die Grabenböschung hinunter. Er holte sie zurück, betrachtete neugierig die Aufschrift, roch am Verschluß und fragte sich, warum die Erwachsenen bloß so wild auf solche Getränke waren. Schmecken die so gut, oder ist es so schön, wenn man besoffen ist? Er drehte am Verschluß herum, es knackte, und die Flasche war offen. Erwartungsvoll setzte er sie an den Mund und nahm einen großen Schluck. Da schossen ihm Tränen in die Augen, seine Kehle schloß sich, flüssiges Feuer rann seine Speiseröhre hinab, verbrannte seinen Magen, und er glaubte zu ersticken.
    Erschrocken ließ er die Flasche sinken und lehnte sich ins Gras zurück. Wenn Kinder Alkohol trinken, können sie sterben, fuhr es ihm durch den Kopf! Er hatte bestimmt zuviel getrunken! Jetzt war alles aus!
    Sterben indessen mußte er noch nicht. Ganz allmählich kam er wieder zu Atem. Das Brennen im Magen und in der Speiseröhre ließ nach, eine angenehme Wärme blieb zurück. Bodo blinzelte in den Himmel, sah die Wolken ziehen, spürte die Flasche in seiner Hand und merkte, daß er noch am Leben war. Darum schütteln sie sich also alle, wenn sie Schnaps trinken, dachte er, weil es so furchtbar brennt und man beinah draufgeht. Aber wenn das Zeugs unten ist, hat man das Unangenehme überstanden, dann wird man erst ganz warm von innen und danach wahrscheinlich besoffen. Besoffensein ist bestimmt ein ganz tolles Gefühl. Die Besoffenen singen alle, schmeißen mit Geld rum und torkeln über die Straße wie 'n Tanzbär. Ob ich nach dem einen Schluck auch schon besoffen bin? Er stand auf und ging ein paar Schritte. Nee, ich geh noch genau wie vorher. Vorsichtig nahm er einen zweiten Schluck. Der brannte nicht mehr so mörderisch wie der erste.
    Da setzte er die Flasche noch fünf-, sechsmal an und trank in kleinen Zügen.
    Jetzt muß ich bald besoffen sein, dachte er. Er schraubte die Flasche zu, nahm sein Gepäck auf und wanderte weiter.
    Nach wenigen Metern schon machte sich die Wirkung des Alkohols bemerkbar. Der Boden unter seinen Füßen begann sich zu neigen und zu heben. Ihm war, als befände er sich auf einem Schiff. Die Bäume an der Straßenseite kamen auf ihn zu, versperrten ihm den Weg, und der Himmel sank herab. Er tapste wie auf weichem Gummi und glaubte mit jedem Schritt einzusinken. Einem entgegenkommenden Lastwagen wich er erst im letzten

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