Die Kinder von Avalon (German Edition)
wir?«
Siggi öffnete die Augen. Dunkel ringsum. Ein flackernder roter Schimmer am Rande seines Gesichtsfelds. Immer noch rauschte das Meer in seinen Ohren. Dafür stellte er aber fest, dass das rhythmische Auf und Ab zur Ruhe gekommen war.
Er wollte sich aufrichten und stellte fest, dass es nicht ging. Dafür spürte er die spitzen Kiesel, die sich in seinen Rücken bohrten. Er war an Land. Er lag auf dem Boden. Aber was war mit ihm passiert?
»Was geht hier vor?«
»Psst!«, zischte eine Stimme.
Siggi versuchte sich aufzustützen, aber auch seine Arme versagten ihm den Dienst. Einen schrecklichen Augenblick lang fragte er sich, ob er vielleicht gelähmt war, durch den Sturm an ein fremdes Ufer gespült, mit gebrochenem Genick oder dergleichen. Doch dann merkte er, dass er zwar weder Arme noch Beine bewegen konnte, aber aus einem anderen Grund: Er war von Kopf bis Fuß verschnürt wie ein Rollbraten, mit Stricken, die ihm schmerzhaft ins Fleisch schnitten.
»Verdammt noch mal, was soll das? Was ist hier los?«
»Still sein, habe ich gesagt!«, kam dieselbe Stimme von irgendwoher. Eine zittrige Stimme, wie die einer alten Frau, aber immer noch kräftig – und voller Gift.
»Ja, sei still, sonst stopfen wir dir das Maul«, drohte eine zweite, nuschelnd, aber mit Nachdruck.
»Wir müssen uns beraten«, tönte eine dritte Stimme. Sie klang ein wenig unsicherer als die ersten beiden.
»Beraten, ob wir das Schweinchen braten«, reimte die zweite.
»Oder kochen«, ergänzte die erste.
Siggi kam sich vor wie in einem absurden Theaterstück. Er versuchte, den Kopf zu drehen, aber es gelang ihm nur ein kleines Stück, da selbst sein Kopf verschnürt war und die Bewegung schmerzhaft an den Ohren zerrte. Außerdem brachte ihm das Kippen der Perspektive wieder zu Bewusstsein, dass er sich zu lange auf einem schwankenden Schiff befunden hatte – um es milde auszurücken –, und die Welt begann sich um ihn zu drehen. Übelkeit stieg in ihm auf, und er würgte sie hinunter. Sich hier erbrechen zu müssen, in dieser Situation, wäre nicht nur peinlich, sondern auch gefährlich. Man konnte daran ersticken.
»Hagen«, flüsterte er, »bist du hier?«
»Hier neben dir«, kam eine Stimme von links, ebenso leise. »Verschnürt wie ein UPS-Paket. Und Gunhild auch.«
»Und Aneirin – ich meine, Merlin?«
»Keine Spur weit und breit.«
»Typisch Magier. Immer wenn man sie braucht …«
»Was machen wir jetzt?«, kam die Stimme Gunhilds von weiter drüben.
»Wir müssen mit ihnen reden«, sagte Siggi. »Du sprichst mit ihnen, Hagen. Du kannst das am besten.«
Hagen räusperte sich.
»Meine Damen«, begann er, »vielleicht könnten Sie uns erklären …«
»Ruhe da hinten!«, kam eine der Stimmen aus dem Hintergrund der Höhle. Es war nicht zu erkennen, welche der Sprecherinnen es war. »Sonst stopfen wir euch das Maul.«
»Aua«, meinte Hagen leise. »Die sind aber unfreundlich! Versuch du ’s, Gunhild. Vielleicht hören sie auf dich.«
»Aber worüber soll ich mit ihnen reden?«
»Keine Ahnung. Übers Kochen.«
Gunhild überlegte einen Moment. Dann sagte sie mit ein wenig gepresster, aber erstaunlich klarer Stimme: »Zum Kochen braucht man einen großen Kessel.«
Die gemurmelte Unterhaltung im Hintergrund, von der die Gefesselten nur Bruchstücke mitbekommen hatten, verstummte. Schatten kamen näher.
»Und woher weißt du etwas von Kesseln, Täubchen?«, sagte die erste Stimme.
»Ich habe in dem größten Kessel gekocht, den es je gegeben hat«, behauptete Gunhild.
»Ah«, sagte die zweite. »Wir hatten auch einmal einen großen Kessel, nicht wahr, Orddu?«
»Das ist wahr, Orwen«, bestätigte die erste.
»Und für ein ganzes Schwein braucht man schon einen sehr großen Kessel«, meinte die dritte.
»Dann müssen wir das Fleisch eben braten, Orgoch«, ergriff die erste wieder das Wort.
»Aber wir haben keine Erfahrung mit so großen Braten«, sagte die zweite wieder.
»Ich könnte euch da vielleicht helfen«, meinte Gunhild.
»Ach ja, helfen?«, sagte die erste Stimme. Orddu schien so etwas wie die Sprecherin der drei zu sein. »Und wie würdest du das anfangen, mit so einem großen Braten?«
»Und wie würzen?«, fragte Orwen.
»Und wie spicken?«, setzte Orgoch nach.
»Braten würzt man mit Thymian und Rosmarin«, erklärte Gunhild. »Zuerst reibt man ihn mit Öl ein, damit er schön knusprig wird. Dann gibt man Salz und Pfeffer hinzu, und man muss ihn immer gut wenden, damit er von allen Seiten
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