Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
meisten fielen auf der Steuerbordseite dreißig Schritt vor dem Schiff ins Wasser, andere schlugen auf der Backbordseite ein. Jhered bekam einen kalten Guss ab, und das Schiff schaukelte auf den plötzlich entstandenen Wellen.
Sofort gab der Kapitän Befehl, das Tempo zu erhöhen und den Kurs ein wenig zu ändern. Er hielt jetzt auf die Stelle zu, wo an Steuerbord die ersten Steine heruntergekommen waren. Jhered runzelte die Stirn.
»Sie haben Beobachter, mit deren Hilfe sie den Winkel korrigieren«, erklärte er. »Sie können unsere kleine Kursänderung aber nicht erkennen. Vertraut mir.«
Jhered nickte. Er ging wieder nach vorn und stellte sich vor den Mast. Auf einem Felsvorsprung über einem steinigen Ufer, mitten in der Flussbiegung, rannten Soldaten umher. Hinter ihnen zog ein Pferd einen Wagen, auf dem eine Bailiste befestigt war.
»Links voraus!« Er deutete auf die neue Gefahr. »Da nähern sich Ziele.«
Sie fuhren am äußersten Rand ihrer Reichweite. Das Schiff pflügte durchs Wasser, fünfzig Schritte dahinter folgte das Schwesterschiff. Oben auf dem Fels bereiteten die Soldaten die Balliste vor. Er sah den Anstellwinkel und konnte beobachten, wie der Bolzen geladen wurde. Dann schossen sie. Das Geschoss selbst konnte er nicht verfolgen, dazu war es zu schnell. Im vorderen Viertel des Schiffs schlug der Bolzen ins Dollbord ein. Das Holz splitterte, und die Spitze drang hindurch. Der Leviumkrieger, der dahinter stand, wurde durchbohrt und ans Deck genagelt. Im Todeskampf zuckte er hilflos mit Armen und Beinen. Jhered schloss die Augen.
»Feuer!«
Die Leviumkrieger gehorchten sofort. Eine Pfeilsalve flog hinüber; vor den dunklen Klippen verlor er sie aus den Augen. Zwei Männer an der Balliste fielen. Auch seine eigenen leichten Geschütze schossen jetzt, aber die Schäfte waren zu kurz gezielt und landeten unter Gischtfontänen dicht vor dem Ufer.
»Feuer frei!«, rief er.
Wieder tat sich etwas auf der Klippe, abermals schleuderten die Onager schwere Steine. Er verfolgte die Flugbahn, während eine zweite Pfeilsalve und noch eine weitere vom Schiff aus abgeschossen wurde. Beinahe setzte sein Herz aus. Die Steine waren zu groß, viel zu groß. Der Kapitän hatte sich verschätzt. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, und einige Leviumkrieger folgten seinem Beispiel. Doch im letzten Augenblick fielen die Geschosse knapp vor dem Schiff ins Wasser, kaum zehn Schritte von den Spitzen der Ruder entfernt. Eine Welle schwappte über das Deck. Er kehrte der Gischt den Rücken zu und sah, wie auf der anderen Seite und hinter ihnen die Geschosse einschlugen. Im Heck lächelte der Kapitän.
Die Falkenpfeil schwenkte jetzt hart nach Backbord ab und umrundete den Felsvorsprung. Nun hatten die Bogenschützen einen freien Blick auf die Mannschaft an der Balliste, die gerade einen weiteren Bolzen abfeuerte, der jedoch harmlos über das Deck fegte und auf der anderen Seite ins Brackwasser fiel. Die Pfeile, die daraufhin zurückflogen, erledigten die Mannschaft. Der Kapitän nahm unterdessen das Ruder wieder herum und hielt am Hafen vorbei auf das offene Tirronische Meer zu.
Hinter der Hafenmauer bewegten sich die Masten von drei Schiffen, die sie offenbar abfangen wollten. Ihre Segel waren gebläht, und an den Masten hingen die alten atreskanischen Flaggen. Was Yuran auch in seinen Botschaften mitgeteilt hatte, seine Marine war jedenfalls sofort bereit gewesen, sich von der Konkordanz abzuwenden. Er fragte sich, ob Atreska jemals wirklich loyal gewesen war.
Vor und hinter ihnen schlugen unablässig Geschosse ein. Die Steine flogen scheinbar träge vor der Sonne vorbei und landeten in der Nähe der hilflosen Schiffe. Zum zweiten Mal ließen sich die Gegner durch eine kleine Kursänderung und eine Anpassung der Geschwindigkeit täuschen, doch da die Geschosse derart nahe niedergingen, war es nur eine Frage der Zeit, bis das Glück sie im Stich ließ.
Die einzige Möglichkeit, das gegnerische Feuer zu behindern, bestand darin, sich dem Hafen und den feindlichen Schiffen zu nähern. Der Kapitän war offenbar der gleichen Ansicht, denn er studierte gerade das Banner auf den Masten und überlegte, ob er die Segel setzen konnte. Doch der Wind wehte ihnen immer noch entgegen. So tauchten die Ruder ein wenig schneller ein, und die rhythmischen Lieder der Ruderer wurden etwas lauter.
»Eine Prämie für die Mannschaft, wenn sie das noch eine Stunde durchhalten!«, rief Jhered.
»Ich stelle eine Sanduhr«,
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