Die Klassefrau
hinzuziehen?«
»Oh, ich habe schon eine Menge Reisen unternommen. Allerdings habe ich lange keinen Urlaub mehr gemacht. Was eigentlich schade ist«, sagte Peter und betrachtete stirnrunzelnd sein Weinglas.
»Du hast dich in deiner Arbeit vergraben, nicht wahr?«
Peter blickte auf. Ihre Miene verriet keine Missbilligung. Stattdessen spielte ein trauriges Lächeln um ihre Lippen, von dem er vermutete, dass es eher ihr selbst als ihm galt.
»Ich spreche aus eigener Erfahrung«, sagte Mallory achselzuckend. »Ich weiß, warum ich es tue. Warum tust du es?«
Sie verdiente eine ehrliche Antwort. Und er ebenfalls. »Es ist schon seltsam«, begann er langsam, »ich scheine alles zu haben, was ein Mann sich nur wünschen kann: liebevolle Eltern, einen Job, der mich zufrieden stellt, gute Freunde. Also kein Anlass zur Beschwerde. Aber trotzdem ist es einfach … nicht genug. Was ich in Wahrheit wollte, habe ich nicht, und es liegt ganz bestimmt nicht daran, dass ich mich nicht darum bemüht habe.«
»Was wolltest du denn?«
»Eine Frau«, sagte Peter schlicht und merkte, dass diese beiden Worte etwa dieselbe Wirkung auf sie hatten wie ein gezielter Schlag in die Magengrube. »Ich wollte eine Partnerin, eine Freundin, eine Geliebte, einen Gefährten«, fuhr er unbeirrt fort. »Jemanden, auf dessen Liebe und Vertrauen ich bauen kann. Jemanden, mit dem ich mir alberne Filme ansehen kann. Jemanden, mit dem ich mich streiten kann. Jemanden, dessen Körper mir so vertraut ist wie mein eigener, und an den ich trotzdem jedes Mal, wenn wir uns lieben, neue Seiten entdecke, und mich daran erfreuen kann. Ich wollte keine Partnerin finden, die auf einem Podest steht oder mich auf eines stellt. Ich wollte weder derjenige sein, der sich um alles kümmert, noch ein Retter. Ich wollte einfach nur eine Partnerin finden, die mich tagsüber begleitet und nachts meine Freundin und meine Geliebte ist, aber ich habe sie nirgends gefunden. Ich glaube, ich habe mich vor der Leere, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach all dem in meine Arbeit geflüchtet … und ich bin auch vor meinen Eltern geflohen. Sie haben alles, was ich gern hätte. Mit ihnen zusammen zu sein … tat so weh. Ich wollte so viel, verstehst du, und ich hatte überhaupt nichts. Verstehst du, was ich meine?«, fragte er leise.
»Ja«, sagte Mallory genauso leise und blickte ihm in die Augen, »das verstehe ich.«
Er holte tief Luft. Seelenverwandte. Langsam verstand er, was dieser Begriff bedeutete. »Ich habe nächtelang wachgelegen und gegrübelt. Wieso hat es so lange gedauert, bis ich dir begegnet bin? Und weißt du, zu welchem Schluss ich gelangt bin?«, sagte er, ohne ihrem panischen Blick Beachtung zu schenken. »Ich war noch nicht bereit dafür. Wenn ich dich mit siebenundzwanzig oder dreiunddreißig kennen gelernt hätte, wärst du nichts weiter als eine vorübergehende Erfahrung gewesen, aber nicht ein Teil meines Lebens. Ich kann es leider nicht besser ausdrücken, es ist alles noch sehr neu für mich. Mein Leben lang war ich so eine Art Glückskind. Ich wusste immer, was als Nächstes passieren würde, weil ich die Gabe hatte, in meinen Träumen die Zukunft vorhersehen zu können. Und alles lief so mühelos: meine Karriere, meine Freunde, meine Gesundheit, einfach alles. Und unbewusst wollte ich all das nicht aufs Spiel setzen. Ich schätze, ich hatte einfach Angst vor einer ernsthaften Bindung. Wahrscheinlich gefiel mir mein unkompliziertes Dasein viel zu gut. Ich hatte nicht das Bedürfnis, es aufzugeben, also habe ich es auch nicht getan. Aber leider wurde aus dem unkomplizierten Dasein irgendwann eine Art Albtraum, weil ich mich mehr und mehr darin verlor … also arbeitete ich wie ein Besessener und entwickelte eine Gefühllosigkeit, die genauso unüberwindlich war wie deine Schutzmauern. Ich war innerlich wie tot, bis auf diesen einen Schmerz, der mit jedem Tag schlimmer wurde. Sogar als ich anfing, davon zu träumen, dass ich bald meiner zukünftigen Frau begegnen würde, dachte ich noch, dass ich sie und unsere gemeinsamen Kinder einfach in mein unkompliziertes Dasein verpflanzen könnte. Das dachte ich bis zu dem Augenblick, als du mich das erste Mal aus der Werkstatt werfen wolltest. Plötzlich gab es so etwas wie Überraschung und Spannung in meinem Leben. Etwas, worauf ich mich jeden Tag aufs Neue freuen konnte. Etwas, das mir Hoffnung gab. Irgendwann werde ich diesen Handlanger der Mafia, der meinen Vergaser zerstört hat, aufspüren und ihm dafür
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