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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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saß einfach da und sah mich an, eine Hand lag auf dem Knie und drückte es. Die andere Hand fingerte rastlos auf der Lehne des Sessels.
    Ich brauchte nur den Kopf zu drehen und rauszugehen. Ich weiß nicht, warum es einem so schwer gemacht wurde.

20
    Im Korridor vor meinem Büro war der übliche lebhafte Publikumsverkehr, und als ich die Tür öffnete und in die lautlose Muffigkeit meines kleinen Wartezimmers trat, war es das gewöhnliche Gefühl, als sei man in einen Brunnen gefallen, der vor zwanzig Jahren ausgetrocknet ist und zu dem niemand mehr kommt. Der Geruch von altem Staub lag in der Luft, so abgestanden wie ein Interview mit einem Fußballer.
    Ich öffnete die zweite Tür, und dahinter war die gleiche tote Luft, der gleiche Staub auf dem Furnier, - dasselbe gebrochene Versprechen eines leichten Lebens. Ich machte die Fenster auf und das Radio an. Es fing überlaut zu spielen an, und als ich es leiser gestellt hatte, kam es mir vor, als hätte das Telefon schon eine Weile geklingelt. Ich nahm meinen Hut ab und den Hörer auf.
    Höchste Zeit, daß ich mal wieder von ihr hörte. Ihre feste kühle Stimme sagte: »Diesmal ist es mir wirklich ernst.«
    »Na los.«
    »Bisher habe ich gelogen. jetzt lüge ich nicht. Ich habe wirklich was von Orrin gehört.«
    »Weiter.«
    -Sie glauben mir nicht. Ich höre es aus Ihrer Stimme.«
    »Sie können an meiner Stimme gar nichts hören. Ich bin ein Detektiv. Wie haben Sie von ihm gehört?«
    »Er telefonierte aus Bay City.«
    »Moment mal.« Ich legte den Hörer auf die fleckige Löschblattunterlage und zündete meine Pfeife an. Nur keine Eile. Lügen sind immer geduldig. Ich nahm wieder auf.
    »Wir haben doch diese Masche schon mal abgezogen«, sagte ich. »Sie sind recht vergeßlich für Ihr Alter. Ich glaube nicht, daß Dr. Zugsmith das gerne sehen würde.«
    »Bitte spotten Sie nicht. Es ist sehr ernst. Er hat meinen Brief bekommen. Er ging zum Postamt und fragte nach seiner Post. Er wußte, wo ich wohnen wollte. Und ungefähr wann. So hat er angerufen. Er ist bei einem Doktor, den er dort kennengelernt hat.
    Macht irgendwelche Arbeit für ihn. Ich habe Ihnen ja erzählt, daß er zwei Jahre Medizin studiert hatte. «
    »Heißt der Doktor irgendwie?«
    »ja, ein komischer Name. Dr. Vincent Lagardie.«
    »Moment mal. Da ist jemand an der Tür.«
    Ich legte den Hörer sehr vorsichtig ab. Vielleicht war er sehr zerbrechlich. Vielleicht bestand er aus hauchdünnem Glas. Ich zog ein Taschentuch heraus und wischte mir den Handballen - in dem der Hörer gelegen hatte. Ich stand auf, ging zu der Einbaugarderobe und blickte auf mein Gesicht in dem fleckigen Spiegel. ja, ja, das war ich. Ich sah angespannt aus. Ich hatte anstrengend gelebt.
    Dr. Vincent Lagardie, 965 Wyoming Street. Schräg gegenüber vom >Garland-Haus des ewigen Friedens<. Holzhaus an der Ecke. Still. Hübsche Gegend. Freund vom verblichenen Clausen. Vielleicht. Nach seiner Aussage nicht. Vielleicht doch.
    Ich kehrte zum Telefon zurück, meine Stimme klang gepreßt vor Unbehagen. »Wie buchstabieren Sie das?« fragte ich.
    Sie buchstabierte es schnell und genau. »Also brauchen wir nichts zu machen, was?«
    sagte ich. »Jedes Blümchen hat sein Engelchen, oder wie sagt man es in Manhattan, Kansas?«
    »Bitte, reden Sie nicht so mit mir. Orrin hat großen Arger. Irgendwelche ... « - ihre Stimme bebte ein bißchen, und der Atem ging schneller. »Irgendwelche Gangster sind hinter ihm her. «
    »Reden Sie keinen Unsinn, Orfamay. Gangster gibt's nicht in Bay City. Die arbeiten alle beim Film. Was hat Dr. Lagardie für eine Telefonnummer?«
    Sie gab sie mir. Sie stimmte. Ich will nicht gerade sagen, daß die Teile allmählich zusammenpaßten, aber wenigstens sah es so aus, als gehörten sie alle zum gleichen Puzzle. Und mehr kann man kaum erwarten.
    »Bitte fahren Sie hin, besuchen Sie ihn, helfen Sie ihm. Er hat Angst, aus dem Haus zu gehen. Schließlidi habe ich Sie bezahlt.«
    »Ich hab's zurückgegeben.«
    »Na ja, und ich hab's Ihnen wieder angeboten.«
    »Sie haben mir auch andere Dinge so halbwegs angeboten, die ich lieber nicht angenommen habe.«
    Es blieb still.
    »Also gut«, sagte ich. »Also schön. Wenn ich noch so lange frei herumlaufe. Ich habe selber einen Haufen Ärger.«
    »Warum?«
    »Gelogen und nicht die Wahrheit gesagt. Ich falle immer damit rein. Ich habe nicht so viel Glück wie gewisse Leute.«
    »Aber ich lüge nicht, Philip. Ich lüge bestimmt nicht. Ich bin in Panik.«
    »Dann atmen Sie

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