Die Klinge des Löwen 01
ihm starrte ihn mit offenem Mund überrascht an. Dietrich
erkannte blitzartig, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen
hatte. Jetzt galt es, den anderen vollends zu überrumpeln.
„ Ihr habt auf uns
gewartet!“ setzte er in drohendem Ton hinzu, um sein Gegenüber
einzuschüchtern.
Tatsächlich
widersprach Justus Schwertfeger nicht. Statt dessen kratzte er sich
verlegen im Genick und schien nach Worten zu suchen. Wie die meisten
seiner Art fühlte er sich einem Wortgefecht mit einem Ritter
nicht gewachsen. Die verlegene Unsicherheit des Bediensteten, der
sich gegenüber einem Höhergestellten zuviel herausgenommen
hat, kam zum Vorschein.
„ Auf Euch haben wir
eigentlich nicht gewartet“, murmelte er zögernd, wobei er
das Wort „Euch“ betonte. Dietrich beobachtete ihn scharf.
Er wußte genau, daß die momentan zur Schau getragene
Unterwürfigkeit bei solchen Gesellen rasch in blindwütige
Angriffslust umschlagen konnte. Die haßerfüllten Blicke
der übrigen Gesellschaft verhießen nichts Gutes.
„ Drücke dich
gefälligst deutlicher aus!“ herrschte er Justus
Schwertfeger im Befehlston an, um dessen Verwirrung auszunutzen, die
sicherlich nicht lange anhielt. „Auf wen solltet ihr
warten?“
Schwertfeger, der
dem selbstbewußten Auftreten des jungen Recken nichts
entgegenzusetzen wußte, grinste töricht. Man hatte ihm
Dietrich als einen harmlosen Jüngling geschildert, der kaum den
Schuhen des Knappen entwachsen sei und der ihm keine Probleme
bereiten würde. In Wirklichkeit entpuppte sich dieser sogenannte
Jüngling nun als ein gestandener Mann, dessen Erscheinen ihm
wider Willen soviel Respekt einflößte, daß er ganz
konfus wurde.
„ Seid Ihr denn nicht in
Begleitung einer Dame?“ gab er schließlich zur Antwort
und bereute seine Dummheit im selben Moment.
Denn jetzt war es
heraus. Blitzschnell erfaßte Dietrich, daß hier Verrat im
Spiel war. Diese Leute waren hier, um ihm und seiner Begleitung
aufzulauern. Ohne sich umzudrehen, rief er: „Giselbert, an
meine Seite! Roland, du bleibst hinter uns. Halte den Bogen bereit!“
Während er
diese Befehle erteilte, hatte er mit einer flüssigen Bewegung
blitzschnell sein Schwert aus dem Wehrgehänge gezogen. Justus
Schwertfeger, einen Moment von dem plötzlichen
Stimmungsumschwung überrascht, tat es ihm nach. Er wandte sich
nach rückwärts zu seinen abwartenden Kumpanen, stellte sich
in den Steigbügeln auf und stieß das Schwert als Zeichen
zum Angriff senkrecht in die Luft.
„ Drauf, Männer!“
schrie er und gab seinem Roß die Sporen, daß es mit einem
mächtigen Satz und vor Schmerz schrill wiehernd losgaloppierte.
Dietrich, der die
Attacke Schwertfegers kommen sah, brachte seinen Rappen mit einem
Schenkeldruck rechtzeitig aus der Bahn des gegnerischen Rosses. Wie
ihm schien, hatte der andere seinen Gaul nicht unter Kontrolle, als
er an ihm vorbeipolterte. Unmittelbar hinter sich hörte Dietrich
fast gleichzeitig das furchtbare Pfeifen eines Schwertes, das
blitzartig die Luft durchschneidet, dann ein Röcheln und einen
dumpfen Fall. Ein Blick zurück zeigte ihm, daß Giselbert
den feindlichen Hauptmann mit einem einzigen Schwertstreich gefällt hatte.
Dietrich erfaßte
sofort die jähe Änderung der Situation. Schwertfeger war
seinem unüberlegten Angriff selber zum Opfer gefallen! Er hatte
das Roß, das durch den brutalen Sporenstoß seines Reiters
blindlings zwischen die Gegner geprescht war, nicht in der Gewalt,
als Giselbert zum Schwertstreich ausholte. Schwertfeger, nur bemüht,
sich im Sattel zu halten, hatte in diesem blitzschnellen Ablauf des
Geschehens keine Möglichkeit gefunden, den furchtbaren Hieb
abzuwehren.
Giselbert tauchte im
nächsten Augenblick mit blutigem Eisen neben Dietrich auf. Aber
es gab nichts mehr zu tun. Nachdem die gegnerischen Bewaffneten
gesehen hatten, wie ihr Anführer tot zu Boden sank, rissen sie
in Panik ihre Pferde herum und flüchteten zurück in
Richtung der Brücke von Biberaha.
Dietrich starrte
ihnen nach, bis sie in der Nähe des Dorfes in ein Erlenwäldchen
eintauchten und außer Sicht gerieten. Er ließ seine
Klinge in die Scheide zurückgleiten und wandte sich seinem
Knappen zu.
„ Höre, Roland“,
sagte er und zeigte auf die Bergkante, an deren Fuß die Gräfin
mit den anderen im sicheren Versteck ausharrte. „Reite zu
unseren Leuten, sie warten dort. Führe sie ungefähr eine
M eile oberhalb unseres
jetzigen Standortes an den Erlenbach. Wenn ich mich recht erinnere,
ist dort irgendwo
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