Die Klinge des Löwen 01
unter seiner grauen, bis zu
den Waden reichenden Tunika wölbte sich ein ansehnlicher Bauch.
Die gelbliche Farbe seines Gesichts verriet ein galliges Temperament,
vielleicht hatte er es auch mit einer geschwächten Leber zu tun.
Die gerötete und etwas verdickte Nasenspitze deutete darauf hin,
daß er dem Wein gerne zusprach. Alles in allem erweckte er den
Eindruck, den Genüssen des Lebens nicht abgeneigt zu sein.
Auffallend
waren auch seine schiefergrauen Augen. Sie glänzten wie die
eines jungen Menschen, sein Blick aber war unstet. Er konnte den
erzählenden Dietrich einen Moment lang aufmerksam anblicken, um
seine Augen kurz darauf unruhig im Raum umher wandern zu lassen. Die
Zwischenfragen, die er stellte, zeigten jedoch, daß er dem
Bericht des Besuchers aufmerksam folgte. Zuweilen, wenn Dietrich
seinen Knappen Roland lobend erwähnte, glitt ein Ausdruck
väterlichen Stolzes über Werner von Husens Gesicht.
„ Wie
soll es jetzt weitergehen?“ fragte er, als Dietrich geendet
hatte.
„ Ich
würde gerne, Eure Erlaubnis vorausgesetzt, mit meinen Leuten den
morgigen Tag hier auf der Burg verbringen. Die Frauen und auch Gräfin
Idas kleiner Sohn brauchen eine Ruhepause, denn der vor uns liegende
Weg zur Kastelburg hält wohl weitere Strapazen für uns
bereit.“
„ Das
will ich meinen!“ mischte sich Heinrich, der Waffenmeister der
Husenburg, in das Gespräch. Er war ein massiger, sechs Fuß
großer Mann mit schwarzem Kraushaar und wulstigen Lippen, was
ihm den Anschein von Gewalttätigkeit gab. „Ihr wollt von
hier direkt nach Süden ins Elztal aufbrechen? Da gibt es weder
Weg noch Steg und Ihr müßt Euch regelrecht durch die
Wildnis kämpfen.“
Dietrich
runzelte die Stirn und nickte nachdenklich. „Ich weiß.
Aber wenn wir den Weg das Gutachtal hinauf nehmen, dann haben wir mit
Sicherheit den Geroldsecker wieder auf dem Hals. Das kann ich nicht
riskieren.“
„ Nein,
das könnt Ihr natürlich nicht“, sagte der Burgherr,
eifrig bemüht, auch seine Meinung darzulegen. „Aber ich
glaube auch nicht, daß Urban von Geroldseck es zum Äußersten
kommen läßt.“
„ Da
wäre ich nicht so sicher“, entgegnete der Mönch
Ambrosius, ein rundlicher Mann mittlerer Statur, dessen dünnes
Haar ihn älter machte, als er war. Er trug eine braune Kutte,
die einige Fett- und Rotweinflecken aufwies, was offenbarte, daß
er bei den vom Burgherrn gerne veranstalteten Gelagen sowohl dem
Braten als auch dem Weinkrug tüchtig zusprach. Im übrigen
war Ambrosius nicht nur für das Seelenheil der Burgbewohner
zuständig, sondern versah als Kämmerer und Schreiber des
Burgherrn auch weltliche Aufgaben.
„ Er
ist ehrgeizig!" fuhr er fort. "Sein Sohn Egeno mag zwar
etwas anders geartet sein, aber im Grunde muß er den Ideen
zustimmen, die ihm sein Vater ins Ohr bläst. Es hat sich ja
jetzt gezeigt, daß er dessen ungesetzliche Machenschaften
durchaus mitträgt.“
„ Die
Zeiten werden sich wieder ändern“, warf Werner von Husen
in beruhigendem Ton ein und bekräftigte seine Worte durch ein
zuversichtliches Kopfnicken.
„ Meint
Ihr?“ entgegnete der Mönch. „Es sieht aber nicht
danach aus. So lange wir zwei Könige im Reich haben, von denen
jeder dem anderen aufs Haupt zu schlagen versucht, so lange herrscht
bei uns das Recht des Stärkeren. Seht Euch doch nur unsere
Herzöge an! Während Welfe und Staufer sich gegenseitig die
Herrscherkrone streitig machen, reißen die deutschen Herzöge
immer mehr Macht an sich. Sollte der elende Streit um den Thron je zu
Ende gehen, dann haben wir zwar endlich einen allein regierenden
König, aber seine Machtbefugnisse werden gestutzt sein wie die
Flügel eines gefangenen Adlers! Und die jetzige Zeit kommt den
Absichten des Geroldseckers sehr entgegen. Er sägt nämlich
auch gerne an anderer Leute Stuhlbein!“
„ Du
bist ein Schwarzseher, Ambrosius“, rief der Burgherr mit
gutmütigem Lachen, um gleich darauf in einem Ton fortzufahren,
der seine Großzügigkeit betonen sollte. „Beschäftigen
wir uns lieber mit dem Schicksal unserer Gäste, das uns mehr
angeht, als der Hader draußen im Lande. Auf ihrem gefahrvollen
Weg werden sie zusätzliche Bedeckung brauchen. Wie viele Reisige
können wir dafür abstellen, Heinrich?“
Der
Waffenmeister fuhr sich nachdenklich über sein glattrasiertes
Kinn. „Schwer zu sagen, Herr. Normalerweise könnte ich bis
zu fünf Kriegsknechte für eine Weile entbehren. Aber...“
„ Aber
was?“ unterbrach ihn Werner von Husen
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