Die Klinge des Löwen 02
Beschuldigungen nicht durch weitere unsichere
Zeugen zu entwerten.
„ Ich
komme jetzt zu dem Versuch des Angeklagten, meinen Sohn Egeno zu
ermorden“, sagte er mit finsterer Miene. „Als dieser ihn
auf der Fähre bei der Husenburg zur Rede stellte, schlug der
Angeklagte grundlos mit dem Schwert nach ihm und traf ihn derart am
Bein, daß mein Sohn eine tiefe Fleischwunde erlitt. Nur dem
Herbeieilen der Männer Egenos war es zu verdanken, daß
Dietrich sein mörderisches Vorhaben nicht vollenden konnte.“
Der
Herzog beugte sich vor. „Euer Sohn hat also die Fähre
betreten, auf der Dietrich vom Hain sich befand?“
„ Genau
so war es.“
„ Enterte
Egeno das Fahrzeug mit gezogenem Schwert?“
„ Nein,
keinesfalls. Er kam ja in friedlicher Absicht.“
„ Woher
wißt Ihr das so genau - wart Ihr dabei?“
„ Äh...nein,
das nicht. Aber so wurde es mir berichtet.“
„ So,
so. Dann beruht also Eure Anklage nicht auf eigenem Erleben, sondern
wiederum auf Erzählungen Dritter, nicht wahr?“
„ Ja,
wenn Ihr es so nennen wollt, dann ist das wohl richtig.“
„ Tja,
das bedeutet aber weiter, daß Eure Anklage gar nicht
unparteiisch sein kann, weil Ihr Eure Auskünfte nur von einer
der beiden in die Sache verwickelten Parteien erhalten habt. Oder
sehe ich das falsch?“
Mit
mürrischem Gesicht entgegnete Graf Urban: „Eure Auffassung
ist natürlich nicht zu widerlegen...“
„ Aha,
das ist eine ehrbare Antwort. Ich darf daraus ableiten, daß Ihr
nichts dagegen habt, wenn ich jetzt Herrn Dietrich aufrufe, seine
Version der Geschichte darzulegen. Sodann wollen wir die Zeugen
beider Seiten hören. Seid Ihr damit einverstanden, verehrter
Graf?“
Es
blieb dem Ankläger nichts anderes übrig, als sich dem in
eindringlichem Ton gehaltenen Wunsch des Vorsitzenden zähneknirschend
zu beugen. Er nickte mit ärgerlicher Miene und zog sich auf
seinen Platz zurück. Herzog Berthold dagegen ignorierte den
Unwillen des Grafen und bedeutete Dietrich, das zur Diskussion
stehende Geschehen aus seiner Sicht zu schildern. Das tat der junge
Ritter, indem er in knappen, nüchternen Sätzen
wahrheitsgemäß berichtete, was sich auf der Fähre
ereignet hatte.
Anschließend
ließ der Richter den ersten Zeugen kommen. Es war Egeno von
Geroldseck, der Sohn des Anklägers. Der junge Mann war in Surkot
und Umhang gekleidet, beides aus weinrotem Stoff, und er machte nicht
den Eindruck, als ob sein verletztes Bein ihn noch behinderte. Etwas
befangen trat er vor das Gericht und warf Dietrich und der neben
diesem sitzenden Ida einen scheuen Blick zu, um dann seine
Aufmerksamkeit sofort auf Herzog Berthold zu konzentrieren.
Der
Vorsitzende betrachtete ihn mit prüfendem Blick. „Euer
Vater hat Euch als Zeuge bestellt“, sagte er in wohlwollendem
Ton, der zeigte, daß er bereit war, dem Sohn mehr Vertrauen
entgegenzubringen als dem Vater. „Ihr wißt, worum es
geht?“
Dietrich
sah, daß Egenos kantiges Gesicht rot anlief. Offenbar fühlte
er sich in dieser Versammlung nicht sonderlich wohl. Endlich
räusperte er sich und sagte: „Ja, ich glaube schon. Ihr
meint den Vorfall auf der Fähre nahe der Husenburg.“
„ Ganz
recht. Euer Vater klagt den hier anwesenden Dietrich vom Hain des
Mordversuchs an Euch an. Könnt Ihr diese Behauptung bestätigen?“
Zum
Erstaunen aller ließ Egeno sich mit der Antwort Zeit. Er sah
Dietrich nachdenklich an, und dieser war überrascht über
den offenen Blick des jungen Mannes. In dessen Augen zeigte sich
nicht die geringste Feindseligkeit. Erst als Herzog Berthold, der
bislang lässig auf seinem Sessel lagerte, sich aufrecht setzte
und Egeno erstaunt ansah, begann dieser zu sprechen.
„ Nein,
ein Mordversuch war es eigentlich nicht", sagte er zögernd.
"Ich habe damals mein Roß auf die Fähre getrieben,
die mit Dietrich und einigen anderen an Bord wohl kurz zuvor am Ufer
angelegt hatte. In dem Getümmel muß Dietrich sich durch
mein unruhiges Pferd bedroht gefühlt haben. Er griff zur Waffe,
ich tat desgleichen, brachte aber aufgrund meines sehr nervösen
Rosses die Klinge zu spät heraus, so daß ich Dietrichs
Schwertstreich nicht richtig parieren konnte."
Der
junge Zeuge schwieg ein paar Augenblicke, und man sah seiner
unsicheren Miene an, daß er jetzt in ziemlicher Verlegenheit
war. Schließlich setzte er unsicher hinzu: "Na...ja, da
ist es halt passiert."
Herzog
Berthold hatte, während er schweigend zuhörte, sein Kinn
auf die linke Hand gestützt.
"So,
so - da ist es halt
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