Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
ist«, wandte sie ein. »Ich kann schnell reiten, ich kann schießen, und ich werde alles Nötige in Sicherheit bringen.«
Nach einiger Zeit seufzte ihr Vater und schüttelte den Kopf. Da wusste sie, dass er ein Einsehen hatte und ihr, auch wenn es ihm schwerfiel, die Aufgabe der Klingen übertrug. Darauf hatte sie seit ihrem zehnten Lebensjahr gewartet, nachdem sie zum ersten Mal von ihrer Existenz erfahren hatte.
Er zog eine Kette hervor, die er um den Hals trug. Daran hing ein antikes Medaillon. »Erkennst du es?«
Thalia nickte und trat zu ihm. Das Medaillon trug er immer bei sich. Sie hatte ihn noch nie ohne es gesehen. Vorsichtig löste er die Kette von seinem Hals, legte das Medaillon in seine Hand und öffnete es.
Sanftes Licht fiel auf ihre Gesichter. Auf beiden Seiten des Medaillons erschienen zwei winzige Menschen. Sie lächelten und winkten.
»Deine Mutter«, murmelte ihr Vater. »Und du.«
Thalia beugte sich näher heran. Obwohl sie das Medaillon bereits häufig gesehen hatte, erschauderte sie noch immer. Eine der winzigen Gestalten war sie selbst. Seltsam, sich so in Miniaturform zu sehen. Aber noch erstaunlicher schien der Anblick von Thalias Mutter, die gesund und glücklich wirkte. Seit Jahren kannte Thalia nur dieses kleine magische Bild von ihrer Mutter. Sie betrachtete Diana Burgess’ winzige Gestalt und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.
Das Medaillon befähigte seinen Träger dazu, die Personen zu sehen, die er am meisten liebte. Nicht immer bedeutete das ein Geschenk.
»Solange du weg bist, werde ich es jeden Tag ansehen«, sagte ihr Vater leise.
Er klappte das Medaillon zu und legte die Kette wieder um seinen Hals.
Sie versuchte zu lächeln, doch ihr Herz klopfte heftig, aus Angst und Vorfreude zugleich. Fast alles, was sie über die Welt der Klingen wusste, hatte sie von ihrem Vater oder anderen Mitgliedern der Gruppe erfahren. Ihre Taten waren gefährlich und geheimnisumwoben. Einige Klingen kehrten nie von ihren Missionen zurück. Bald könnte sie dazugehören. Aber sie durfte nicht versagen. Es stand weitaus mehr auf dem Spiel als nur ihr eigenes Leben.
»Bei Tagesanbruch breche ich auf«, verkündete sie.
3
VERFOLGT
Obwohl erst September war, fühlte sich die frühmorgendliche Luft bitterkalt an. Huntley stand in der Dunkelheit hinter einem Zaun, der die riesigen Filzzelte umgab. Sein Atem bildete kleine Wölkchen, die sich in der Kälte auflösten. Die eisigen Hände hatte er in die Taschen geschoben, verkniff es sich jedoch, von einem Fuß auf den anderen zu treten, um die fast tauben Zehen zu wärmen. Er war es gewohnt, leise zu sein, wenn er auf der Lauer lag.
Dasselbe konnte man von seinem Pferd nicht behaupten. Das Tier scharrte hinter ihm leise mit den Hufen und zerrte unruhig an den Zügeln. Es schien zu sagen: Jetzt hast du dir solche Mühe gegeben, mich zu wecken, wieso benutzt du mich dann nicht? Huntley strich über die weiche stoppelige Nase des Tieres und raunte leise beruhigende Worte in sein Ohr. Die Stute schien beschwichtigt, allerdings nur leicht. Sie wollte sich bewegen. Das konnte er ihr nicht verübeln.
Huntley hatte den Großteil des gestrigen Abends mit der Suche nach einem Pferd verbracht, dessen Größe es ihm ermöglichte, bequem darauf zu reiten. Mongolische Pferde waren robuste, an die Steppe und hartes Wetter gewöhnte Tiere, aber auch bemerkenswert klein, beinahe wie Ponys. Wenn Huntley beim Reiten nicht mit den Knien an sein Kinn stoßen wollte, musste er ein entsprechendes Pferd finden. Einen russischen Sattel aus weichem Leder hatte er ebenfalls erstanden. Die wunderhübsch verzierten Holzsättel der Mongolen wirkten verflixt unbequem.
Er wusste nicht, wie viele Meilen ihm bevorstanden, aber er wollte auf jede Eventualität vorbereitet sein. Egal, ob gut oder schlecht, er versuchte, jede Möglichkeit zu berücksichtigen und auf alles Erdenkliche gefasst zu sein. Deshalb hatte man ihn in den Offiziersrang befördert, während andere, die mit ihm angeheuert hatten, ihr Dasein als Feldwebel fristeten.
Nun diente Huntley zwar nicht mehr als Offizier, doch als er an diesem frostigen Morgen das Grundstück von Franklin Burgess beobachtete, waren seine Sinne noch genauso scharf. Nach ein paar Stunden Schlaf in einem gastfreundlichen mongolischen Zelt, die er sich mit etwas Holzhacken verdient hatte, bezog er gegenüber den beiden Burgess-Zelten Posten und wartete. Franklin hatte Huntleys Hilfe zwar vehement abgelehnt, doch die
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