Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
mithilfe von Gesten klar, wie man die Spalierwände aufstellte. Der gesamte Vorgang dauerte normalerweise nicht länger als eine Stunde, doch dieses Ger war außerordentlich groß.
»Für das Fest«, erklärte Oyuun.
Thalia nickte und folgte ihr zu den versammelten Frauen, die eifrig damit beschäftigt waren, Berge von Gerichten und Getränken für den Abend vorzubereiten. Kochen gehörte nicht zu Thalias Lieblingsbeschäftigungen. Ihr Vater hatte sie nie in die traditionell weibliche Rolle gedrängt. Sie verstand jedoch genug davon, um sich nicht zu blamieren. Nachdem sie die Stammesfrauen begrüßt hatte, begann Thalia, frisches Hammelfleisch mit heißen Steinen zu füllen, um es dadurch zu garen – ein beliebtes Gericht bei Feierlichkeiten.
»Glaubst du wirklich, dass du einen Mann beim Nadaam schlagen kannst, Schwester?«, erkundigte sich eine der Frauen.
»Ich glaube, dass jede von uns genauso gut, wenn nicht sogar besser mit dem Bogen umgehen kann als unsere Männer«, erwiderte Thalia.
»Ist er dein Ehemann?«, fragte ein jüngeres Mädchen, den Blick über Thalias Schulter gerichtet.
Thalia wusste zwar, von wem das Mädchen sprach, konnte jedoch nicht anders, als sich noch einmal umzudrehen. Gabriel und einige andere Männer hoben die Dachpfosten für das riesige Ger . Als sie ihn sah, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Obwohl er kein Mongolisch sprach, reagierte er umgehend auf die Zeichen der anderen und ging ganz in der Arbeit und der Kameradschaft auf. Er besaß einen kräftigen Körper, war stark und klug und verstand schnell, was getan werden musste. Mühelos erledigte er seine Aufgaben. Trotz der Sprachbarriere lachte Gabriel mit den Mongolen und brachte sie seinerseits zum Lachen. Ein paar der Männer klopften ihm auf die Schulter, das universelle Zeichen männlicher Anerkennung.
»Er ist ein Verwandter«, antwortete Thalia und drehte sich wieder zu der Gruppe um. Die Mongolen zeichneten sich durch ihre Toleranz aus. Wenn ein unverheirateter Mann und eine unverheiratete Frau zusammen reisten, würden allerdings auch sie etwas schief gucken.
»Dann ist er also noch zu haben?«, erkundigte sich eine ältere Frau. »Ich habe Töchter.«
»Und mein Ehemann ist schon alt«, fügte eine andere Stammesfrau mit schiefem Grinsen hinzu. Daraufhin kicherten die Frauen wie Tauben, die sich in den Himmel erhoben.
Thalia wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie musterte die Gesichter der Frauen, von denen die wenigsten sich gerade auf die Küchenarbeit konzentrierten. Stattdessen starrten sie an ihr vorbei. Thalia sah sich unwillkürlich selbst noch einmal um und konnte schlagartig nicht mehr klar denken.
Zusammen mit einem anderen kräftigen jungen Mann rollte Gabriel die riesigen Filzmatten aus, die die Wände des Gers bildeten. Er hatte Jacke und Weste abgelegt, die obersten Knöpfe seines Hemdes standen offen, die Ärmel waren hochgekrempelt. Der Anblick seiner gebräunten Unterarme, seines Halses und seines trainierten Körpers unter dem Baumwollhemd faszinierten Thalia. Er bewegte sich auf eine sehr männliche Art und handelte zielgerichtet. Sie konnte unmöglich den Blick von ihm wenden, als er die Filzmatte über das Holzgerüst des Gers warf und sich die Muskeln unter dem Stoff seines Hemdes spannten. Ihr Blick glitt weiter nach unten. Nachdem er seine Jacke abgelegt hatte, konnte sie sein muskulöses Hinterteil und die kräftigen Schenkel sehen. Alle Muskeln waren in Bewegung und arbeiteten perfekt zusammen. Sie erinnerte sich lebhaft an das Gefühl seiner Haut und der kräftigen Muskeln darunter.
Mehr noch als Gabriels ästhetische Qualitäten faszinierten Thalia seine Energie und sein Enthusiasmus. Voller Elan widmete er sich seiner Aufgabe, beobachtete mit intelligentem Blick, folgte sorgfältig den Anweisungen, riskierte jedoch auch etwas. Wenn er einen Fehler machte, korrigierte er ihn und fuhr mit seiner Arbeit fort. Er versprühte Lebensfreude. Die Freude, etwas Neues auszuprobieren. Die Freude, Körper und Geist zu verbinden. Er unterdrückte seine Gefühle nicht, und seine Lebensfreude übertrug sich auf seine Umgebung, auch auf Thalia.
Als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, winkte Gabriel ihr fröhlich zu und machte sich wieder an die Arbeit.
»Ein Verwandter, ja?«, fragte Oyuun spitz.
Thalia wandte sich mit zitternden Händen wieder ihren eigenen Aufgaben zu. »Ein entfernter Verwandter«, sagte sie.
Die Frau des Anführers lächelte wissend, fragte aber
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