Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Sieger grinste triumphierend, und seine Familie applaudierte. Dann brachten sie das nächste Band neben einem anderen Pfeil an, und der Gewinner führte einen Freudentanz auf. Währenddessen fluchte Tsend leise vor sich hin. Nur zwei weitere Wettbewerber konnten die nächste Runde des Turniers erreichen. Doch als der Richter zu Tsends Pfeil trat und mit dem blauen Seidenband winkte, hörte er auf zu fluchen und sah Thalia boshaft an.
»Sieht aus, als sollte euer englischer Dummkopf das Schießen lieber den echten Mongolen überlassen«, höhnte er.
Thalia saß ein dicker Kloß im Hals. Sie und vier andere Schützen konkurrierten um den letzten Platz. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und zu irgendeiner Gottheit gebetet, doch sie traute sich nicht, den Blick von den Richtern zu wenden. Bold ging mit einem Seidenband in der Hand langsam an ihrem Pfeil vorbei und ihre Augen brannten. Sie hatte versagt.
Dann blieb Bold plötzlich stehen und drehte sich um. Thalia stockte der Atem, als er feierlich das Seidenband aufwickelte und neben ihrem Pfeil befestigte. Grinsend genoss er seinen Auftritt.
Die Menge jubelte lauter als je zuvor. Als sie sich umdrehte, sah Thalia, dass alle Frauen außer sich vor Freude kreischten, während die Männer ziemlich verwirrt schienen. Bis auf Gabriel, der so einen euphorischen Lärm machte – klatschte, pfiff und sogar, guter Gott, fluchte – , dass sie vor Glück und Scham errötete. Freude durchströmte ihren Körper. Sie hatte es geschafft. Wirklich geschafft. Sie waren dem Rubin einen weiteren Schritt näher gekommen.
Thalia wandte sich zu Tsend um, der, wären die Stammesmänner nicht gewesen, bereit schien, einen Mord zu begehen. Sie deutete auf ihr Del . »Das ist keine Verkleidung«, sagte sie zu ihm. »Ich bin eine echte Mongolin. Mehr als du, Verräter.«
Mit bösen Verwünschungen stürmte Tsend davon und schubste ein paar Leute aus dem Weg.
Thalia nahm kaum Notiz von ihm, denn plötzlich stand Gabriel neben ihr und nahm sie so fest in die Arme, dass sie Sterne sah. Sie konnte sich nicht erinnern, je glücklicher gewesen zu sein als in diesem Augenblick.
Thalia fühlte sich nach Pferderennen und Bogenschießen bereits stark erschöpft, doch einen Wettbewerb galt es noch zu bestehen. Selbst die kurze Pause, in der alle aßen und tranken, reichte ihr nicht zur Erholung. Doch die schwerste Aufgabe lag bereits hinter ihr. Die letzte Herausforderung musste Gabriel allein meistern.
»Weiß dein Engländer, wie die Mongolen ringen?«, fragte Oyuun Thalia. Alle warteten darauf, dass die Wettbewerber sich umzogen und aus dem Zelt kamen.
»Batu und ich haben ihm die Regeln erklärt«, antwortete sie.
»Erklären und Umsetzen sind zwei verschiedene Dinge«, gab Oyuun zu bedenken. Thalias Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie warf ihr einen warnenden Blick zu. Sie konnte niemanden gebrauchen, der ihr zusätzlich Angst machte.
»Er ist den Großteil seines Lebens Soldat gewesen.« Es kam ihr immer noch merkwürdig vor, in der Vergangenheitsform von Gabriels Militärdienst zu sprechen. In ihrem Kopf, in ihrem Herzen war er ein Krieger und würde es immer bleiben. »Er weiß, wie man kämpft.« Sie hoffte, dass seine Fähigkeiten und sein Wille ausreichten.
Als die Ringer das Ger verließen, jubelten die Zuschauer ihnen zu. Thalia schluckte, als der massige, furchteinflößende Tsend heraustrat. In dem traditionell knappen Kostüm der Ringer wirkte er wie ein barbarischer Kraftprotz, der seinen Verstand nur im Notfall gebrauchte, und selbst dann nur widerwillig.
»Ich weiß nicht, wer dieser Mongole ist«, flüsterte Oyuun, »aber seine Augen sind schrecklich und tot.«
Beinahe hätte Thalia ihr verraten, dass sie, Gabriel und Batu, Tsend nur allzu gut kannten, doch dann kam Gabriel aus dem Ger. Er trug ebenfalls die vorgeschriebene Ringerkleidung. Und augenblicklich konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen.
»Oh«, sagte Oyuun atemlos, » dieser Mann ist alles andere als tot.«
Thalia hatte zahlreiche Nadaam -Feste besucht und sich an die Kleidung der Ringer gewöhnt, die auf andere Europäer schockierend wirkte. Die Statuen der römischen und griechischen Antike waren kaum spärlicher bekleidet. Mongolische Ringer trugen am Oberkörper nur eine knappe Jacke, die vorn offen stand, und anstelle von Hosen oder Reithosen eine Art Unterhose, die allerdings viel enger als normale Herrenunterhosen saßen. Die typischen Stiefel und der spitze Hut
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