Die Knochenfrau
Gebüsch, zusammen mit seinen blöden Freunden? Simon sah sich um, konnte aber niemanden sehen. Nur eben das schwarze Auto mit den blauen Flammen auf der Motorhaube, das einige Meter vor ihm seine Kreise drehte. Plötzlich beschleunigte das Spielzeug, wirbelte Schotter hoch und stellte sich auf die Hinterräder. Simon grinste über beide Ohren, biss sich auf die Unterlippe und machte ein paar Schritte auf das Auto zu. Er näherte sich auf zwei Meter, da gab das Auto Gas, fuhr mit voller Geschwindigkeit etwa sechs Meter von ihm weg und legte einen erstklassigen Drift hin. Das hatte sein blöder Bruder nie so hingekriegt, der hatte doch keine Ahnung. Das Auto hier sah zwar genauso aus, wie das, das er auf dem Dachboden gefunden hatte und das man ihm dann ungerechterweise weggenommen hatte … aber irgendwie war es noch besser, stärker und schneller. Vielleicht waren andere Batterien drin, überlegte Simon. Oder sogar ein besserer Motor.
Wieder beschleunigte der schwarze Monstertruck, wirbelte Kies auf und stellte sich jaulend auf die Hinterräder. Noch einmal drehte sich Simon im Kreis, sah sich um. Aber hier war wirklich niemand. Das Auto fuhr ganz von allein. Und wenn es ganz von allein fuhr, dann gehörte es auch niemandem. Vielleicht, so überlegte Simon, könnte er es ja mit nach Hause nehmen und irgendwo verstecken. Irgendwo, wo sein Bruder es nicht fand.
Genau in der Sekunde, als Lukas zwei Schlüssel aus einem Umschlag schüttelte, nachdem ihm Frau Schultheiß die Tür vor der Nase zugemacht hatte, beschloss Simon, den schwarzen Monstertruck einzufangen und mit nach Hause zu nehmen. Seine Mutter kam erst in etwa 50 Minuten. Genug Zeit, das Auto zu verstecken. Er lief den schmalen Waldweg entlang und das Auto fuhr vor ihm weg. Er entfernte sich immer weiter von der Straße, drang immer tiefer in den Wald ein. Das Auto war verdammt schnell und Simon geriet schon wieder außer Atem. Also wand er sich aus den Trägern seines Schulranzens und warf das schwere Ding auf den Waldboden. Jetzt ging es besser, jetzt würde er das Auto ganz sicher erwischen. Und da – Simon konnte sein Glück kaum fassen – geriet der Monstertruck in eine Vertiefung und steckte fest. Die Räder drehten durch, er kam nicht mehr heraus. Und Simon setzte sich in Bewegung, rannte auf das Auto zu und war schon auf zwei Meter heran, als das Ding es doch schaffte. Es machte einen Satz, war aus dem Loch heraus und erhöhte jaulend die Geschwindigkeit. „Verdammte Kacke”, rief Simon. Wenn das noch lang so ging, dann würde er es vielleicht doch nicht nach Hause schaffen, bevor seine Mutter da war. Er kam schon richtig ins Schwitzen. Also zog er seine Jacke aus und ließ sie fallen. Er würde auf dem Rückweg ja wieder hier vorbei kommen.
Der Weg wurde enger und dunkler, die Bäume schluckten das Licht. Simon musste aufpassen, keine Äste ins Gesicht zu bekommen. Weiter vorne war eine kleine Lichtung und dort fuhr der Midnight Pumpkin jetzt hin, im Schlepptau den keuchenden Simon. Und dann – Simon stieß ein lautes „Ja” hervor – raste das Auto direkt in einen Busch und blieb stecken. Die Räder drehten sich, der Elektromotor jaulte … aber es ging weder vorwärts noch rückwärts, das Gestrüpp hielt das Spielzeug fest. Simon machte langsamer, atmete tief durch und ging hin zu dem kämpfenden Auto. Ihm fiel ein, dass er ja auch noch die Fernbedienung brauchte. Wo war die? Aber egal, erst einmal das Auto ausschalten. Auf der Seite musste irgendwo ein Schalter sein.
Simon bückte sich, wollte das Auto hochheben und da – von einer Millisekunde auf die andere – war der Truck verschwunden. „Oh”, machte Simon und trat einen Schritt zurück. Ungläubig starrte er auf das Gestrüpp, in dem doch eben noch das Auto steckte. Und da hörte er ein leises Geräusch hinter sich, ein Rascheln im Laub. Simon wollte sich umdrehen, kam aber nicht mehr dazu. Etwas sprang ihn von hinten an und riss ihn zu Boden. Eine Hand umklammerte sein Gesicht, legte sich über seine Augen und drehte mit einem Ruck seinen Kopf auf die Seite. Simon schrie und strampelte mit den Beinen. Und dann drückte ihm etwas die Kehle zu und er bekam keine Luft mehr. Das Letzte, was Simon sah, war ein Büschel Farne. Er sah es durch eine Lücke zwischen diesen dürren, knotigen Fingern hindurch. Er hörte ein Knirschen und dann wurde ihm schwarz vor Augen.
*
Wo war der Junge? Wo zum Teufel war er hin? Frau Pfeiffer hob die Schultasche hoch, wischte den Schmutz
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