Die Knochenfrau
Mischlingsrüden, den die Schneiders damals hatten. Aber das konnte nicht sein, das Tier wäre heute dreißig Jahre alt. Vielleicht irgendein anderer Hund, der so ähnlich aussah wie Lutz.
Lukas wendete auf der Straße und fuhr zu der Adresse, die auf dem Zettel stand.
*
„Sie sind bestimmt der Herr Kramer. Ich habe schon gewartet, dass Sie endlich kommen.”
In der Stimme der dicklichen Frau, die ihm gerade die Tür geöffnet hatte, lag Herablassung. Lukas war zehn Minuten zu spät.
„Genau, Lukas Kramer. Dann sind Sie die Frau Schultheiß.”
„Ja, die bin ich. Ich habe leider nicht viel Zeit, ich hol Ihnen gleich mal den Schlüssel.”
Die Frau verschwand in ihrer Wohnung. In einem der Zimmer kläffte ein Köter. Nach ein paar Minuten kam sie wieder, in der rechten Hand einen vergilbten Briefumschlag mit Fenster.
„So, da ist der Schlüssel drin, den ich Ihnen vom Herrn Schneider geben soll. Sagen Sie, wissen Sie eigentlich, wann die Beerdigung ist?”
Nein, das wusste Lukas nicht. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht.
„Keine Ahnung. Aber ich werde mal im Krankenhaus anrufen … dort, wo die Frau Schneider liegt.”
Die dickliche Frau sah ihn nur an. Sie war auf besondere Art dicklich, sie wirkte eher kastenförmig als rund. Wieder kam dieses Kläffen aus der Wohnung. Es hörte sich gedämpft an, wahrscheinlich war das Vieh irgendwo eingesperrt. Als die Frau nichts sagte, da fragte Lukas:
„Haben Sie die Schneiders gut gekannt? Sie meinten ja, dass Sie bei ihnen geputzt haben.”
„Ja, habe ich. Aber nicht sehr häufig. Der Herr Schneider hat ja eigentlich alles selber gemacht. Und besonders gut habe ich die auch nicht gekannt. Kann ich noch etwas für Sie tun?”
Lukas gefiel ihr Tonfall nicht. Die ganze Frau gefiel ihm nicht. Sie erschien ihm wie die fleischgewordene dörfliche Primitivität. Warum hatten ihr die Schneiders überhaupt den Schlüssel gegeben? Kannten sie wirklich niemand anderen hier in diesem Kaff? Waren sie dermaßen isoliert?
„Wieso haben eigentlich Sie mich nicht angerufen, nachdem das mit dem Herrn Schneider passiert ist?”, fragte Lukas.
„Hören Sie, junger Mann”, die Frau plusterte sich auf, machte sich größer und breiter, „ich habe wirklich noch andere Sachen zu tun. Und die Frau Schneider ist ja nicht plemplem, da ist ja im Kopf noch alles in Ordnung. Die kann das ja selbst bestimmen.”
„Sie war aber einige Tage nicht bei Bewusstsein.”
„Das wusste ich ja nicht. Und ich habe jetzt wirklich noch zu tun.”
Mit diesen Worten schob sie die Tür zu. Durch das dicke, bräunliche Glas, das in die Holztür eingelassen war, sah Lukas, dass sie hinter der Tür stand. Sie wartete darauf, dass er von ihrem Grund und Boden verschwand.
Nach etwa zehn Sekunden – er wollte sie noch ein wenig ärgern, die blöde Kuh – setzte sich Lukas in Bewegung. Er lief die Auffahrt herunter und lehnte sich an seinen Wagen. Dort öffnete er den Briefumschlag und war sich sicher, dass diese unangenehme Person an irgendeinem Fenster hing und ihn beobachtete. Tatsächlich entdeckte er hinter dem Wohnzimmerfenster ihr teigiges Gesicht. Es schaute zwischen zwei Topfpflanzen durch … man hätte den Kopf für einen besonders hässlichen Blumenkübel halten können.
„Was 'ne dumme Nuss”, murmelte Lukas und schüttelte den Hausschlüssel der Schneiders aus dem Umschlag. Unerwartet folgte dem großen Schlüssel ein kleiner. Er sah alt aus, das Metall war grünlich angelaufen. Gerade wollte Lukas den Briefumschlag in seine Hosentasche stopfen, da bemerkte er, dass sich der Umschlag ein wenig zu dick anfühlte. Er steckte zwei Finger hinein und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Die Handschrift war zittrig aber gut lesbar.
Lieber Lukas,
Wenn du das liest, dann ist mir oder uns wahrscheinlich irgendetwas passiert und die Frau Schultheiß hat sich bei dir gemeldet. Es tut mir leid, dass wir dich belästigen, aber es geht nicht anders. Du kennst dich ja wahrscheinlich noch aus in unserem Haus. Du und dein Bruder waren ja als Kinder oft bei uns. Wir hoffen, dass es dir und deiner Familie gut geht.
Unten im Flur steht eine Kommode. Wenn du sie aufmachst, dann ist oben drin eine kleine Schublade. Man sieht sie fast nicht. Für diese Schublade ist der kleine Schlüssel. Bitte lies dir durch, was ich aufgeschrieben habe. Wir belästigen dich wirklich ungern mit den alten Geschichten, aber wir wissen nicht, an wen wir uns sonst wenden
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