Die Knochenkammer
gehört. Pierre hat ein paar Lieblinge, auf die er sich verlässt, wenn er mit seinem Scheckbuch nicht mehr weiterkommt. Das hat Tradition in unserem Metier. Wie dem auch sei, es gelang Pierres Mann, das Stück innerhalb von wenigen Tagen aus der Schweiz herauszuschaffen, noch bevor man Vorkehrungen traf, es nach Kopenhagen zu verschiffen. Er erhielt dafür seine üblichen vier Prozent Kommission. Einen Monat später war es in einem unserer Lagerräume tief unter der Fifth Avenue.«
»Sie haben die Schnitzerei gestohlen.«
»Sie verfolgen doch sicher keine Verbrechen, die in Europa passieren, oder?« Bellinger lachte. »Das liegt in der Natur der Sache, seit es Museen gibt. Manche Schätze wurden in großem Stil geschmuggelt, wie die griechischen Marmorskulpturen, die Lord Elgin gestohlen und dem Britischen Museum vermacht hat. Andere wurden im Stillen weggeschafft und verschachert. Ohne Grabräuber und Kleinkriminelle, befürchte ich, würde es auf der ganzen Welt viel weniger Kunstwerke in öffentlichen Einrichtungen geben.«
»Und Ihr wertvolles kleines Objekt?«
»Wird im Herbst ausgestellt werden. Es gab keinen großen Skandal. Wir haben den Dänen etwas von uns geschickt, worauf sie schon lange spekuliert hatten, und ich bekam meine Elfenbeinschnitzerei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die erhitzten Gemüter wieder abgekühlt hatten. Menschen vergessen nach einiger Zeit und beruhigen sich.«
»Und Grooten?«
»Sie lernte wie wir alle. Wenn Sie der Menschheit auf selbstlose Art und Weise helfen wollen, Detective, dann treten Sie dem Roten Kreuz bei. Wenn Sie in einem Museum arbeiten, dann gewöhnen Sie sich besser an die Tatsache, dass das meiste von dem, was Sie sehen, jemandem unter der Nase weggeklaut wurde. Die großen Archäologen, die in Ägypten, der Türkei und Pompeji gruben, glaubten alle, dass das, was sie entdeckten, ihnen persönlich gehörte. Sie nahmen die Urnen und Münzen und Juwelen mit nach Hause, um sie auf ihren Kaminsimsen auszustellen und sich vor ihren Freunden damit zu brüsten, und verschenkten oder verkauften sie an den Meistbietenden.«
Ich sah mir die Sammlung von Grabsteinen aus Frankreich, Belgien, Spanien und England in dem Raum an. Lords und Ladys, die weit weg von ihren beabsichtigten Grabstätten ruhten.
»Die Kriegs- und Diebesbeute imperialer Herrschaft, Ms. Cooper. Die Trojaner taten es, die Briten, die Deutschen und auch die Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs in Europa und im Pazifik. Das einzig Nette an der Museumsarbeit ist das, was Sie zu guter Letzt in den Vitrinen sehen.«
Ich stand neben einer solchen, auf ein Podest montierten Vitrine. Darin befand sich die Statue eines männlichen Arms, komplett versilbert und mit Juwelen bedeckt, die langen goldenen Finger zu einer segnenden Geste erhoben. Die Legende am Sockel identifizierte das Ganze als Reliquiar eines Bischofs, und ich konnte die Kristallfenster in dem Arm sehen, in denen einst seine geheiligten Gebeine ausgestellt waren. Ich fragte mich, was aus den restlichen Überresten des armen Mannes geworden war.
Gegenüber dem Museumsladen und der Garderobe, am Ende der Treppe, über die wir hereingekommen waren, wollte sich Bellinger von uns verabschieden.
Mike zog einen kleinen durchsichtigen Umschlag aus der Tasche. »Was für Garderobenmarken verwenden Sie hier?«
Bellinger warf einen Blick über die Schulter, aber es hing kein Mantel an der Garderobe. Das Wetter war heute zu mild.
»Die üblichen. Ein kleines Quadrat mit einer Nummer darauf.«
»Wie das hier?«, fragte Mike und zeigte ihm den Abriss, den uns Dr. Kestenbaum gegeben hatte.
»Ja, genau die gleichen, nur sind unsere blau. Alle Partnermuseen der Stadt verwenden das gleiche System, aber mit verschiedenen Farben.«
»Wer hat rote? Das Met?«
»Nein, das Met hat weiße, wenn mich nicht alles täuscht. Das hier ist vom Naturkundemuseum.«
Mercer führte uns den steilen Weg vom Ausgang hinunter zu dem kopfsteingepflasterten Parkplatz. Mit Hilfe einer Karte, die die Polizistin gezeichnet hatte, die Katrina Grooten vor einem Jahr vernommen hatte, versuchte er zu rekonstruieren, welchen Weg die junge Frau am Abend ihrer Vergewaltigung entlanggegangen war.
»Was hältst du von Hiram Bellinger?«, fragte Mike.
»Er ist anders, als ich erwartet habe. Ich dachte, er wäre alt und spießig.« Sobald wir die flachen Stufen hinabgegangen waren, über die Grooten ihr Fahrrad geschoben hatte, befanden wir uns in dichtem
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