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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Knochen? Die ganze Welt besteht daraus.« Sie stampfte mit einem dreckigen, schuhlosen Fuß, als stünde sie auf Eis und wolle prüfen, ob es trug. »Hier, der Boden – aus dem Mehl Tausender Toter. Weißt du nicht, was die Pest und die Jahrhunderte angerichtet haben? Unter unseren Füßen gibt es mehr Gerippe als Sterne am Himmel. Und du willst Knochen
kaufen

    »Und verkaufen. Aber nicht die Überreste normaler Sterblicher. Ich handle mit heiligen Reliquien, die Wunder bewirken und Heerscharen von Pilgern anziehen.«
    »Du glaubst an Wunder? Alles ist vorbestimmt, sowohl die Werke Gottes als auch die des Teufels.«
    »Moses teilte das Meer, Jesus heilte Kranke und verwandelte Wasser in Wein. Sind das etwa keine Wunder?«
    »Warst du dabei?«, gab die Alte ungerührt zurück.
    »Nun …«
    »Na, also.« Ohne Übergang fragte sie. »Hast du etwas zu essen? Ich sterbe vor Hunger.«
    William tauschte einen fragenden Blick mit mir. Als ich mit den Schultern zuckte, kramte er in seinen Taschen und brachte schließlich eine Zwiebel zum Vorschein, die er ihr hinhielt.
    Die Alte streckte die Hand aus. »Gib her. Dann lese ich das Schicksal aus euren Händen.« Sie nahm die Zwiebel, zog die Schale herunter, biss ein Stück ab und begann gierig zu kauen. Ich fragte mich, wie sie das mit nur zwei Zähnen bewerkstelligte. Schon schob sie den Rest der Zwiebel nach und griff nun nach unseren Händen. Ihr Daumen, starr vor Schmutz, folgte den Linien der Innenflächen. Plötzlich stockte ihr Atem, sie hielt inne, tastete erneut und schüttelte dann den Kopf. Unsere Hände sanken herab.
    »Was ist?«, fragte William. »Was hast du gesehen?«
    Angesichts ihrer Blindheit klang das Wort
gesehen
eigentümlich.
    »Nichts«, erwiderte die Alte. Sie wandte sich ab und zermalmte schmatzend die Zwiebel.
    »Für
nichts
hast du die Zwiebel nicht bekommen. Du musst uns schon mehr sagen.«
    »Lieber nicht.« Meine Augen suchten in meiner offenen Hand nach Tod und Verderben.
    »Sag es«, knurrte William. »Ich glaub sowieso nicht dran.«
    Die Alte schüttelte wieder den Kopf und drehte sich dann zu uns um. Erst jetzt bemerkte ich die Äderchen, die sich wie ein Netz über ihre weißen Augäpfel zogen.
    »Ich will es nicht wissen«, wiederholte ich. Die blicklosen Augen in dem Hexengesicht jagten mir Angst ein. Meine Handlinien, über die ihre schmutzigen Finger geglitten waren, brannten wie Feuer.
    »Ich kann nur eins sagen. Eure Hände sind wie die von Zwillingen. Aber nur die eine Hälfte. Danach sind die Furchen, die das Schicksal zeichnet, wie Asche im Wind.«
    »Was soll das nun wieder heißen?« Auch William starrte auf seine Hände.
    »Es heißt, was es heißt. Und jetzt zieht weiter. Mehr ist nicht zu sagen.«
    »Was hat sie damit gemeint?«, grübelte ich später, als wir sie längst hinter uns gelassen hatten.
    »Womit?«, fragte William.
    »Damit, dass die zweite Hälfte unserer Handlinien sei wie Asche im Wind.«
    »Gib nichts auf dieses Geschwätz«, erwiderte William. »Sie war blind und hat unsere Hände nicht einmal gesehen.«
    »Unser Schicksal liegt allein in Gottes Hand«, rezitierte ich aus Furcht und alter Gewohnheit Äbtissin Matildas tausendmal aufgesagten Spruch.
    »Amen und schade um die Zwiebel«, fügte William hinzu.

    Wir hatten schon beinahe die Tore Prags erreicht, als ein Unwetter aufzog.
    »Gleich stürzt der Himmel auf uns herab«, brummte ich, während William stirnrunzelnd die Wolkenmassen betrachtete, die der aufkommende Sturmwind auf uns zutrieb. Blitze zuckten wie Schlangenzungen, und schwere Donnerschläge krachten über unseren Köpfen.
    »Jemand hat alle Tore der Hölle geöffnet.«
    Ich deutete auf eine windschiefe Scheune am Ende einer Wiese. Unvermittelt peitschte der Regen herab. »Schnell! Dorthin!«
    William nahm meine Hand, und wir rannten los. Klatschnass erreichten wir die Scheune. Wir stemmten uns gegen das Tor, das knarrend nach innen aufschwang. Kaum hatten wir die Tür wieder zugezogen, erklang ein Schrei.
    »Halt!« Eine Gestalt hüpfte vor uns herum, fuchtelte mit einem Messer und radebrechte Latein: »Ihr habt hier nichts zu suchen!«
    »Sachte mit dem Messer!« William stellte sich schützend vor mich und machte beruhigende Handbewegungen.
    »Was wollt ihr hier? Das ist meine Bleibe.«
    »Natürlich ist das deine Bleibe. Wir suchen auch keinen Streit, nur eine Weile Schutz vor dem Unwetter, und möchten dich bitten, dass du so lange diesen Ort mit uns teilst.«
    »Das geht nicht.«

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