Die Knochentänzerin
»Könnt ihr es euch nicht denken? Also: Dann erklär ich es. Jesus’ drei schwarze Tränen tropften auf das Kind. Und zwar genau auf die eine Rippe, die wegen des Unfalls offen lag. Und dort bildeten sie nebeneinander drei schwarze Punkte.«
»Ah!« Durch diesen Ausruf aller löste sich die aufgestaute Spannung.
Cosmas erklärte nun die Details: »Es ist doch vollkommen klar, welchen Wert die Rippe des Kindes dadurch erhielt. Logischerweise schnitt man sie also aus dem Leib des toten Mädchens heraus. Stellt euch das Bild vor – der weiße Knochen mit den drei schwarzen Punkten, die Jesus’ Tränen hineingebrannt hatten!«
William blickte skeptisch. »Willst du etwa behaupten, die Mutter oder irgendein anderer braver Christenmensch hätte zugelassen, dass man aus dieser Rippe ein Würfelspiel schnitzt?«
»Aber nein. Natürlich nicht. Jeder – wie du sagst brave Christenmensch – hätte alles dafür gegeben, die heilige Rippe in einem vergoldeten Glasschrein im Templum Vatikanum in Rom auszustellen, damit sie fortan von Pilgerscharen verehrt werden könne.«
»Eben«, stimmte William zu.
»Leider konnte es nicht so geschehen. Ein römischer Zenturio beschlagnahmte die Rippe, sah die drei Punkte darauf und beschloss, sie auf die einfachste Art und Weise zu entwürdigen.«
Nun nickte die Runde verstehend.
Cosmas, ganz in seinem Element, strahlte wie ein Erleuchteter. »Dem Römer genügte es aber nicht, aus der Rippe drei Würfel fertigen zu lassen – nein, die drei schwarzen Jesustränen inspirierten ihn sogar noch zu einem neuen Würfelspiel, das heutzutage ein jeder kennt …«
»
Tres canes
«, schnaubte Emil der Böhme ehrfurchtsvoll.
»So heißt das Spiel. Die Einsen werden
die drei Hunde
genannt. Wer die würfelt, ist der Sieger.« Cosmas setzte mit einem theatralischen Fingerzeig auf die Würfel zum Schlusspunkt an: »Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es sich bei den besagten Würfeln um diese da handelt.«
»Wie gelangten sie in deinen Besitz?«, wollte der Jude misstrauisch wissen.
»Das ist eine andere Geschichte, nicht weniger spannend, doch auch länger als diese. Ein andermal. Genug geredet, jetzt. Lasst uns spielen!«
Nun trat ich auf den Plan. Wie rührselig auch immer Cosmas’ Geschichte sein mochte, sie änderte nichts an den Tatsachen. Diese bestanden nicht nur darin, dass mich Beklemmung bei dem Gedanken erfasste, William und Cosmas würden gleich mit einem zwielichtigen Böhmen, einem undurchsichtigen Juden und einem gewissen Boleslav spielen, dessen Namensvettern sich unter anderem mit dem Beiwort
der Grausame
schmückten. »Hört zu!«, wandte ich mich deshalb an William und Cosmas. »Ich bin gegen dieses Würfelspiel, wie heilig auch immer die Würfel sein mögen. Glücksspiel ist riskant und verboten. Erst kürzlich wurde auf der Brixener Synode ein Würfelverbot erlassen …«
»… das nur für Kleriker gilt«, unterbrach Cosmas mich triumphierend.
Doch ich wollte mich nicht so leicht geschlagen geben. »Das mag sein«, rief ich, »fest steht aber, dass auch jenseits der Brixener Synode ein Spielverbot gilt. Wer dagegen verstößt, hat mit schlimmen Strafen zu rechnen.« Ich wandte mich nun direkt an Boleslav den Gepflügten: »Als Wirt müsstest du wissen, was dir droht, wenn man Gäste in deiner Schenke beim Würfeln erwischt.«
Boleslav zeigte mir die Innenseiten seiner behaarten Pranken, als wolle er beweisen, dass er kein Messer trug. »Kindchen,
wer
sollte uns denn erwischen? Glaubst du, irgendeiner von der Stadtwache traut sich in mein Gasthaus? Die haben alle eine Heidenangst, auf dem Weg hierher von irgendwelchen Teufeln in den Sumpf gezogen zu werden.«
Jetzt fiel mir noch ein Zitat Reinmars von Zweter ein, das Einzige, das mir im Kloster von der deutschen Sprache begegnet war, und ich mahnte mit erhobenem Zeigefinger: »Der tiuvel schuof daz würfelspil, dar umbe daz er sêlen vil …«
»Schluss jetzt!«, donnerte Boleslav. »Erstens bist du ein Weib und hast folglich nichts zu melden. Und zweitens ist dies meine Schänke. Ich bestimme, was erlaubt ist und was nicht.« Seine Rechte krachte auf den Tisch, so dass die Bierhumpen und Würfel sprangen. »Los jetzt. Jude – du wirfst zuerst.«
»Halt! Nicht gar so rasch.« William hob die Hand, als wollte er ein Fuhrwerk stoppen. »Zwei Dinge gilt es vorab zu klären: zum einen die Spielregeln,zum anderen den genauen Einsatz.«
»Ach –« Cosmas' geblähte Backen machten seinen Totenkopfschädel rund.
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