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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Bedeutung des Mantels versteht.« Der Jude verdrehte die Augen und wackelte mit dem Zeigefinger: »Wie jedermann weiß, wurde der Markusdom zu Venedig aus den Gebeinen des heiligen Markus’ erbaut. Und das geschah so: Eines Tages erschien der heilige Markus dem Dogen Giustiniano Partecipazio …«
    »Als Skelett oder was?«, fragte William.
    »Unwichtig. Jedenfalls ließ sich der Evangelist im nordwestlichen Eckturm des Palasts unterbringen, der heute die Schatzkammer des Dogen ist. Dieser tat wie ihm befohlen und erbaute zu Ehren des heiligen Evangelisten einen Dom …«
    »Aus dessen Knochen?«
    »Und aus Steinen natürlich«, fuhr Aaron mit einem strafenden Blick auf William fort. »Sodann wurde die heilige Reliquie des Evangelisten in eine Säule des Doms gesteckt, wo sie …«
    »Moment!« William schüttelte verwirrt den Kopf. »Du willst behaupten, der tote Evangelist kam als Skelett zum Dogen, der daraufhin aus seinen Knochen den Dom baute, während er selbige gleichzeitig in eine Säule steckte? Es leuchtet mir nicht ganz ein, wie sich das alles bewerkstelligen ließ.«
    »Dann hast du keine Ahnung von Heiligen und den fantastischen, gottgesegneten Dingen, die sie vollbringen. Es geht selbstverständlich, das ist ja das Wunder – und der Beweis ist schließlich auch da, oder willst du etwa behaupten, dass es den Dom in Venedig und den Evangelisten in der Säule nicht gibt?«
    »Nein, das nicht, aber …«
    »Na also. Dann lass mich jetzt fortfahren, ohne mich ständig zu unterbrechen. Es geschah also, was so oft geschieht, der Dom zu Venedig fiel einem Feuer zum Opfer, wurde wieder aufgebaut, und die Säule mit dem heiligen Evangelisten geriet in all der Hektik der Bauarbeiten in Vergessenheit. In dieser Zeit, als die Venezianer ganz andere Dinge im Kopf hatten, als sich um einen toten Heiligen in einer angekohlten Säule zu kümmern, gelang es Dieben, unbeachtet die Säule zu öffnen. Sie wagten es aber nicht, den ganzen Heiligen zu rauben, da sie Unheil und ewige Verdammnis fürchteten. Doch sie nahmen den Mantel und verhökerten ihn an irgendjemanden, an wen kann heute keiner mehr sagen. So ging der Mantel auf Reisen, durch die Jahrhunderte und durch die Länder. Und schließlich gelangte er in unsere Hände.« Wie um dies zu beweisen, drehte uns der Jude seine Handflächen zu. »Als man sich in Venedig wieder des Evangelisten in der Säule erinnerte – es heißt, während einer heiligen Messe sprach er zu den Gläubigen, woraufhin man die Säule öffnete –, galt es im Nachhinein als Wunder, dass die heiligen Gebeine das verheerende Feuer unversehrt überstanden hatten. Da wusste aber niemand mehr, dass Markus einst mit diesem Mantel bekleidet gewesen war. Jedenfalls ist es nun so, dass Sankt Markus sich natürlich immer noch nach seinem Mantel sehnt, in so einer Säule kann es ja ganz schön kalt werden, vor allem im Winter. Man stelle sich vor, welche Dankbarkeit und welches Glück und welcher Segen jenem ehrlichen Christenmenschen zuteilwerden, der ihm sein Kleidungsstück zurückbringt. Ganz abgesehen von dem Vermögen, das dieser Mensch durch den Verkauf der Reliquie an den Dogen erlangen wird.«
    »Hm«, machte William. »Und wo ist jetzt der Haken? So, wie du es beschreibst, ist der Mantel ja viel mehr wert als der Kopf. Das möchte ich zwar bezweifeln …«
    »Kein Haken«, ging Emil dazwischen. »Es geht lediglich um das Dokument, das die Echtheit des Mantels beweist.«
    »Was ist damit?«
    »Nun, das ging selbstverständlich in all den Jahrhunderten, den Feuern, den verschiedenen Händen durch die es lief, et cetera, verloren.«
    »Selbstverständlich«, grinste William. »Das heißt, wenn ich dich richtig verstehe: Sollten wir verlieren, was ich natürlich ausschließe, gewinnt ihr nicht nur die heilige Kopfreliquie des Sankt Veit, sondern auch noch eine von uns anzufertigende Urkunde für das halb verbrannte Evangelistengewand.«
    »Ich werde eine solche Fälschung niemals …«, begann ich, doch schon donnerte Boleslavs Bass:
    »Schweig still! Hexe! Ich hab dir gesagt, was sonst geschieht!«
    Wie unter Prügeln duckte ich mich, während Cosmas zunächst Emil zustimmte, um dann mit den Erläuterungen zu beginnen, wie die Regeln des Würfelspiels lauteten.

    Die dralle Wirtin Dalisha stellte frische Bierhumpen auf den Tisch und himmelte William an. Als Boleslav sie davonscheuchte, streifte sie Williams Wange mit ihrem üppigen Busen. Während ich sie wütend anfunkelte, wurde William rot,

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