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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Kammer, Bett und Essen. Als ich mich wieder erhob, knirschte die Tür. Jäh stockte mir der Atem. Es war also doch nicht die Großmut des Lords, der mir diese Kammer beschert hatte. Wie dumm war ich eigentlich? Natürlich wollte Eachann von Colbhasa sich nicht vor den Augen der gesamten Mägdeschar an mir vergehen. Deshalb die Einzelzelle. Sollte ich mich in einer Ecke verkriechen, darauf hoffend, er fände mich in der Dunkelheit nicht?
    Es rumpelte, polterte und tat einen mächtigen Schlag, der bestimmt die ganze Burg weckte. Trotz meines pochenden Herzens fühlte ich grimmige Genugtuung, gepaart mit der Hoffnung, Lord Eachann möge sich beim Sturz über die Kiste seinen dürren Hühnerhals gebrochen haben. Ein wilder Fluch folgte dem Krachen und Poltern. Jemand rappelte sich schimpfend auf.
    »Bei allen Teufeln, kannst du mich nicht warnen, bevor du mich umbringst?«
    Pfeifend entwich mein angehaltener Atem. »William, du bist’s.«
    Wieder rumpelte es, und erneut fluchte der Grabräuber. »Ach, hast wohl gehofft, ich wäre ein anderer? Kein Wunder, dass du dich vor Verehrern nicht retten kannst, viel Schönheit gibt es hier außer dir nicht. Ebenso wenig wie Licht.«
    »Nicht gehofft, sondern befürchtet. Seine Lordschaft hat mich auserwählt.«
    Seine Stimme schwebte näher. »Wie erstrebenswert. Auserwählte des Herrschers über dieses wahrhaft paradiesische Eiland. Königin der Schafe und Böcke.«
    »Vergiss die Lämmer nicht und spar dir den Spott. Mach lieber Licht.«
    »Womit denn? Hast du etwas? Ich nicht.«
    »Ich auch nicht.« Ich seufzte in der Dunkelheit. Noch immer konnte ich nicht einmal Williams Schatten ausmachen. Einzig seine Stimme verriet, wo er war. »Setz dich irgendwohin«, schlug ich vor. »Am besten auf die Truhe. Sie ist das einzige Möbel, das es hier gibt, außer dem Bett, und wage es nicht, diesem zu nahe zu kommen.«
    »Mein Glückstag«, kommentierte William. »Über das Einzige, was mir die Knochen brechen könnte, falle ich.«
    »Du bist derjenige, der mit Knochen handelt.«
    »Du bist diejenige, die auf ihnen tanzt.«
    Schlagfertig war er. Noch während ich mich über seinen Spott ärgerte, musste ich mir eingestehen, dass mir das Wortgewandte an ihm gefiel. Trotzdem knurrte ich: »Lassen wir den Märtyrer aus dem Spiel. Die Kiste hab ich dorthin gestellt, um die Tür zu verrammeln.«
    »Sie geht nach außen auf.«
    Schlauberger. Das hatte ich auch schon bemerkt. Ich hörte, wie er die Truhe fand, sie weiter in den Raum zog und sich ächzend darauf niederließ. Der Regen wurde schwächer, und wie eine zähe Flüssigkeit floss die graue Nacht durch mein schmales Fenster. Dort hockte er, der dürre Knochensammler, nicht viel mehr als selbst ein schwarzes, tropfendes Skelett, das nun zu mir sprach.
    »Vorhin, als du dich aus dem Fenster lehntest, sah ich ein Lederband mit einem Amulett um deinen Hals. Was bedeutet es?«
    Schon seit einer Ewigkeit hatte ich es nicht mehr hervorgeholt. Im Kloster war Schmuck jeglicher Art verpönt, selbst ein umgehängtes Kreuz hatte schlicht und ohne Zier zu sein. Nun zog ich an dem Band und tastete nach dem Siegelring, der daran hing.
    »Es zeigt eine Rose, die sich um einen Stab rankt und ist das Siegel meiner Familie«, erklärte ich stolz. »Angeblich gibt es noch einen zweiten Rosenring. Mein Vater hängte mir diesen um den Hals, damit er mich wiedererkennt, wo auch immer er mich findet.«
    »Der Ritter mit der goldenen Rüstung und dem Pferd, das übers Meer fliegt.«
    »Er ist ein Ritter, jawohl!« Ich musste mich beherrschen, um es nicht wütend herauszuschreien. »Du bist nur neidisch, denn wahrscheinlich ist dein Vater ein Schafshirte.«
    »Mein Vater ist tot und meine Mutter auch.« William räusperte sich. »Hab ich dir das noch nicht erzählt?«
    »Doch«, antwortete ich kleinlaut. Mir schien die Gabe gegeben, andere zu verletzen. »Willst du darüber reden?«
    »Worüber?«
    »Wie er gestorben ist.«
    William schwieg zunächst. Er saß ganz still. Schließlich antwortete er. »Du hast recht. Er hütete tatsächlich die Schafe für den englischen Lord. In dem Jahr, als ich geboren wurde, gab es nichts zu essen. Damit Frau und Kinder nicht verhungerten, stahl er ein Schaf und war so dumm, sich dabei erwischen zu lassen. Der Lord befahl, ihn auf die gleiche Weise hinzurichten, wie er das Schaf getötet hatte. Also schnitt ihm der Henker die Kehle durch.«
    Mein Hals war plötzlich trocken. »Und deine Mutter?«
    »Man hat mir später

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