Die Knochentänzerin
dies außer ihm niemand wusste.
Wieder gab Dandolo das Zeichen. Ein schwarzgekleideter Priester besprengte Oradini mit Weihwasser und sprach mit monotoner Stimme lateinische Gebetsformeln. Die Henkersknechte holten einen rot glühenden eisernen Stuhl aus dem Feuer und stellten ihn auf die Bühne. Die Menge schrie auf, als sie erkannte, was nun folgen würde. Oradinis Augen und Mund weiteten sich entsetzt. Doch schon packten ihn die Henkersknechte, setzten ihn auf den glühenden Thron und hielten ihn nieder. Im Brüllen des Gefolterten ging das Zischen seiner Haut unter, es stank nach verbranntem Fleisch. Nun trat der Henker hinter ihn, setzte ihm einen ehernen Corno aufs Haupt, zog lange Eisenstifte aus seinem Gürtel und nagelte Oradini die Dogenkrone auf den Schädel.
Nun erhob sich Faliero. Seine Stimme tönte über der Richtstätte auf der Piazzetta: »Der ehrwürdige Doge Pietro Dandolo erteilte mir die Erlaubnis, die Art und Weise zu verkünden, wie die Hure Felicia, Anstifterin zur Verschwörung gegen den ehrwürdigen Dogen, verurteilt wegen Hochverrats an Venedig, hingerichtet wird.« Faliero pausierte, während die Henkersknechte eine gläserne Wanne heranschleppten. Dann fuhr er fort. »Die Hure wird in diese Wanne gelegt. Sodann übergießt man ihren Körper mit glühendem, flüssigem Glas. Ist das Glas ausgekühlt und gehärtet, wird ihr Leichnam so auf der Piazza ausgestellt – zur Mahnung und Warnung für alle Feinde Venedigs, die Ähnliches im Schilde führen. Neben ihr wird der Verräter Oradini auf seinem Thron sitzen, der ihm, wie jedermann sehen kann, zu heiß geworden ist. Auch der Corno ist wohl nichts für ihn.«
Schnell wich das Gelächter der Menge atemloser Spannung. Wie willenlos ließ sich die Hure zur Glaswanne führen und festbinden. Die Henkersknechte brachten einen Kessel, in dem die glühende Glasmasse brodelte. Faliero setzte sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. Grimmig wartete er darauf, dass seine frühere Gespielin in Glas gegossen wurde.
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Zweites Buch
Köln
21
Pilgerreise
L ondon. Wie konnte ein Ort so stinken, als hätte der Teufel persönlich an jeder Ecke seine Notdurft verrichtet? Alle Menschen, die es auf der Welt gab, mussten hier zusammengedrängt sein, verdammt dazu, zu lärmen, zu fluchen, zu schwitzen und herumzurennen, als sei eben jener Leibhaftige hinter ihnen her. Trotzdem – wie gingen mir die Augen auf! Konnte es größere Gegensätze geben als Icolmkill, das Eiland, von dem ich geflohen war, oder Inbhir Nis oder Urquhart Castle, all die Orte, die ich bisher gesehen hatte – und diese Stadt? London pulsierte so von Leben, dass sich meine Wangen röteten und mein Herz raste, selbst wenn ich nur an einer Ecke stand und das Treiben auf den Märkten betrachtete. Die Stadt war eng, überbrodelnd, stinkend wie ein Bettler, der sich noch nie gewaschen hat – und gleichzeitig bis zum Bersten gefüllt mit aller Schönheit, allem Reichtum der Erde – Schmuck, Kleidern, Schuhen, Tuch, Leder, Gewürzen, Kuchen, Obst, Gemüse, Fleisch – Garküchen, Gauklern, Dieben und bunt bemalten Frauen, nach denen William sich den Hals verrenkte, dass ich ihn sogleich wegzog – alles war so überwältigend und furchteinflößend zugleich. Am Hafen sah ich ein schwarzes Wesen, von dem ich zunächst dachte, es müsse ein Dämon sein, doch William erklärte mir lachend, es sei ein Mensch aus einem fernen Land, aus Fleisch und Blut wie er und ich.
Wir blieben nur einen halben Tag, so lange, wie es dauerte, ein Schiff zu finden, das uns übers Meer bringen würde. Ich wusste nicht, ob ich froh darüber sein oder den Umstand bedauern sollte, dass wir nicht länger in diesem Trubel blieben. Doch William wollte nur eins: so schnell wie möglich nach Köln, um die heiligen Knochen der elftausend Jungfrauen zu finden. Ein neuer Wesenszug an ihm offenbarte sich – Ungeduld, gepaart mit dem störrischen Wunsch, das erstrebte Ziel ohne Kompromisse so schnell wie möglich zu erreichen.
So gelangten wir nach ruhiger Seefahrt und einem längeren Fußmarsch nach Brugge. Wir betraten die Stadt durch das westliche Tor, um sie wenig später durch das Osttor wieder zu verlassen. Meinen zaghaften Vorschlag, William möge sich doch in dieser angeblich größten Stadt Flanderns im Hansekontor bewerben, um am durch Wein- und Tuchhandel erworbenen Reichtum teilzuhaben, tat er mit einem Kopfschütteln ab. Auch die Geschichte des Namens der Stadt, die ich von einem
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