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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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vorbei und gelangten über den Salzmarkt zum alten Markt. Dort bog William in eine Gasse ein, in der die Häuser der Schneider mit der Schere im Zunftzeichen standen. In der Brothalle erwarben wir einen halben Laib Schwarzbrot, William brach für mich einen Kanten ab, und wir marschierten weiter, hoch zu den Hühnerständen und von dort in die Judengasse.
    »Wenn wir Geld verdienen, werden wir hier wohnen«, erklärte William.
    »Wo?«, wunderte ich mich, während ich ratlos die steinernen Gebäude musterte. Ich konnte kein Gasthausschild entdecken, und keines der Häuser glich einer Herberge.
    »Bei einem Juden. Man hat ein eigenes Zimmer und damit seine Ruhe. Und –«, fügte er hinzu, »man muss nicht mit dem Messer unter dem Strohsack schlafen.«
    »Und, wie gedenkst du zu solchem Reichtum zu gelangen, um es zu bezahlen?«
    »Hast du vergessen, warum wir um die halbe Welt hierhergereist sind?«
    Ich lachte. »Du meinst wegen der heiligen Ursula.«
    »Richtig. Vornehmlich der Knochen ihrer elftausend Jungfrauen. Ich werde davon so viele wie möglich kaufen.«
    »Stehlen, meinst du.«
    Er wiegte den Kopf. »Ich bin kein Dieb. Ich nehme nur Dinge, die besitzlos herumliegen.«
    »So wie den heiligen Donnan von Eigg.«
    Er ging darauf nicht ein. »Jedenfalls werde ich der größte Reliquienhändler der Christenheit, so viel steht fest. Zumindest einer der größten.«
    »Ein Knochengroßhändler.« Ich seufzte. »Fast kann ich mir nichts Ehrbareres und Erhabeneres vorstellen.«
    »Ja.« Er überging meinen Spott. »Vor allem, welch glückliche Fügung, dass ich mit dir eine Schreibkundige und des Lateinischen Mächtige gefunden habe. Weißt du, Reliquienhändler gibt es viele. Knochen zu finden ist leicht, vor allem in Zeiten des Schwarzen Todes. Eine passende Urkunde dazu können jedoch nur die wenigstens aufweisen. Das ist der Punkt. Für mich gibt es keine geeignetere Gefährtin als dich.«
    »Meine Schreibkunst ist also der alleinige Grund.«
    »Und deine Lateinkenntnis!«, fügte er mit größtem Ernst hinzu.
    Ich schwieg zunächst, doch mein Herz zog sich zusammen. War dies wirklich alles, was er für mich empfand? Weiter nichts? Ich schluckte und wechselte mit schmalen Lippen das Thema. »Hier laufen immer mehr geistliche Würdenträger herum. Dies scheint eine fromme Stadtgegend zu sein.«
    »Du hast recht.« William zählte auf: »Franziskaner, Konradiner, Benediktiner, Kreuzbrüder – aber auch Bürgerfrauen, die du an den teuren Gewändern und bestickten Seidenhauben erkennst.« Er deutete zu den Schweine- und Rinderhälften und aufgehängten Wurstgirlanden. »Da siehst du den Grund für die Frömmigkeit von Kirchenmännern und reichen Frauen: die Fleischbänke. Normale Menschen können sich das nicht leisten.«
    »Wir auch nicht?«
    Statt einer Antwort erhielt ich ein weiteres Stück Schwarzbrot. Mein sehnsüchtiger Blick schweifte von den getrockneten Würsten zu den zerlumpten Bettlern, die überall herumhockten und die Hände nach Almosen ausstreckten. Flüsternd deutete ich auf einen von ihnen: »Sieh mal, der arme Mann hat nur noch eine Hand.«
    »Fleisch für Fleisch.« William gab sich keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen. »Bestimmt hat er versucht, hier etwas zu stehlen. Dafür hat man ihm die Rechte abgehackt.«
    Ich war entsetzt. »Aber jeder Mensch muss doch essen! Und wenn man kein Geld hat – was bleibt einem übrig?«
    »Man soll sich bloß nicht erwischen lassen.« Er kniff die Augen zusammen und reichte mir plötzlich ein Tuch. »Stopf dir das unter den Umhang.«
    Fragend blickte ich auf das Tuch.
    »Mach schon!«
    Ein Minorit in schwarzer Kutte kam daher. William trat ihm in den Weg und sprach ihn an: »Verzeiht, ehrwürdiger Vater. Mein Weib und ich sind fremd in dieser Stadt. Wir sind ehrliche Leute, Pilger auf dem Weg nach Avignon, um dem Papst zu huldigen. Wir suchen eine Bleibe, damit sich mein Weib ausruhen kann. Wie Ihr sehen könnt, trägt sie ein Kind unter dem Herzen.«
    Mir blieb vor Staunen der Mund offen stehen. William konnte lügen, dass sich die Balken bogen. Und vor allem – er konnte Latein! Wo hatte dieser Knochenklauber das gelernt?
    Der Mönch glotzte auf den Schal unter meiner Jacke. »Eine Pilgerfahrt trotz nahender Niederkunft? Wäre es nicht besser gewesen, die Reise zu verschieben?«
    William blickte ernst. »Ein Gelübde. Doch waren nicht auch Maria und Josef auf Reisen, als Jesus geboren wurde?«
    Der Minorit nickte: »In einem Stall, wie jeder fromme

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