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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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geschwätzigen Händler erfuhr, interessierte ihn nicht. »Der Fluss durch Brugge heißt Rogia«, gab ich mein beim Einkauf erworbenes Wissen weiter, »später wurde daraus Ryggia, dann Bryggia und schließlich Brugge.«
    »So?«, murmelte er einsilbig, schob den Sack mit seiner Habe auf die andere Schulter und marschierte weiter. Nicht einmal die eindrucksvolle Kirche, deren gewaltige Größe ich im Geiste staunend mit der Kapelle auf Icolmkill verglich, durfte ich betreten, so eilig hatte er es.
    In Yent, der nächsten großen Stadt, blieb uns kaum mehr Zeit. Wir verbrachten die Nacht in einer Kaschemme, wo wir das Lager mit allerlei Ungeziefer teilten. Der Wirt, ein Fass von einem Mann, prahlte damit, Yent sei die reichste Stadt des Nordens. Die Worte sprudelten nur so aus seinem Mund, gleichzeitig mit einem Sprühregen von all jenen Speisen, die er sich beim Reden unablässig in den Mund schob. Die Stadt nähre ihren Reichtum mit dem Handel von Flachs und Leinen, und außerdem habe man erst kürzlich das Stapelrecht auf Getreide erworben, was zusätzlich zum Wohlstand beitrug. Davon war in der Spelunke wenig zu sehen. Die Biersuppe war dünn, der Wein wässrig, und in der Nacht knackte ich mit den Fingernägeln Schaben, während uns William mit seinem Beinmesser das menschliche Ungeziefer vom Leib hielt.
    William zeigte mir zwei Gesichter. Einen halben Tag lang konnte er mundfaul wie eine Nonne sein, die ein Schweigegelübde abgelegt hat, um die zweite Hälfte damit zu verbringen, zu sprudeln wie ein Quell. Er war einige Zeit nachgiebig und willens, alles zu tun, was man wollte, ein andermal senkte er den Schädel, schob das Kinn vor und war starrsinnig wie ein alter Schafsbock. Er ließ keinerlei Zweifel aufkommen, dass ich ihn überallhin begleiten würde, und mehr und mehr kam ich selbst zum Schluss, dass es schlechtere Gefährten gab als ihn. Wenn ich ihn ansah, spürte ich ein Beben in meiner Brust.
    Außerdem erfuhr ich, was ich schon in den Büchern gelesen hatte. Die Welt bestand nicht nur aus dem Eiland Icolmkill, umgeben von einer launischen See, bewohnt von Nonnen und Schafen, heimgesucht von Regen und Stürmen. Sie war auch nicht begrenzt auf verschlafene Orte wie Inbhir Nis, mit räuberischen Mönchen, oder Urquhart Castle, wo man den Brauch pflegte, einem Seeungeheuer Jungfrauen zu opfern. Die Welt war unendlich größer, lebendiger, bitterer, schöner, dreckiger, karger, praller, als man es mit allen Worten erklären kann. Ich war neugierig, wissbegierig – und kam mir vor wie eines der Osterlämmer, die herumtollten, mit allen vieren gleichzeitig in die Luft sprangen und auskeilten, aus keinem anderen Grund als dem, dass sie am Leben teilhaben durften. Beschämt stellte ich fest, dass all dies die Gedanken an meinen Vater mehr und mehr in den Hintergrund drängte.

    Am siebten Tag unserer Reise gelangten wir auf dem Rhein nach Köln. Ein Kohlehändler nahm Williams Angebot an, für freie Mitreise den Kahn zu steuern und zu rudern, wenn der Fluss zu langsam wurde. Mich duldete er, nachdem er festgestellt hatte, dass es ihm gefiel, mich anzustarren. Dabei war er selbst der seltsamste Anblick, schwarz berußt von oben bis unten, nur seine glotzenden Augen quollen aus der Schwärze wie weiße Marmorkugeln hervor.
    Köln selbst empfing uns mit einem Wolkenbruch. Aufgewachsen im Dämmerlicht zwischen Glauben und Aberglauben wähnte ich dies als schlechtes Omen, wenngleich uns der Regen die Kohleasche aus den Gesichtern wusch und die Menschen in die Häuser scheuchte. Doch das Wetter erinnerte mich allzu sehr an mein bisheriges Leben. Auch trieb die Unruhe William erst einmal wieder aus der Stadt. Er wollte einen sicheren Ort finden, um den größten Teil unserer Habe zu vergraben. »Bisher war uns der Herr wohlgesinnt. Wir wurden nicht überfallen und beraubt«, kommentierte er unsere Bemühungen, mit bloßen Händen ein Loch in die Erde unter einem Hagebuttenstrauch zu graben. Ich schlug ein Kreuzzeichen. Die Nonnen hatten mich gelehrt, man solle sein Glück nicht in die Welt hinausposaunen, sonst könne es sich leicht ins Gegenteil kehren.
    Als wir in die Stadt zurückkehrten, verzog sich der Regen. Die Menschen strömten zurück auf die Straßen und Plätze, Händler entfernten hastig über Stände geworfene Planen. Wir erkundeten den Ort. Es gab eine Vielzahl von Märkten. Ein Irrgarten von Gassen war wie ein Spinnennetz in der Stadt geknüpft, wir passierten den Gemüsemarkt, kamen an Kohlehaufen

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