Die Knopfmacherin
»Vielleicht sollten wir drinnen weiterreden. Zwischen Tür und Angel verhandelt es sich schlecht.«
Die guten Manieren hätten es längst geboten, ihn hereinzubitten, doch etwas in Melisande sträubte sich hartnäckig dagegen. Aber nun blieb ihr nichts anderes übrig.
»Nun gut, kommt rein, Meister Fassbender.« Widerwillig trat das Mädchen beiseite. Als sie die Tür hinter dem Zunftmeister schloss, bemerkte sie, wie sein Blick durch den Raum schweifte. Beinahe blutrünstig suchte er nach Spuren der Gewalttat. Melisande war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie wirklich alle Blutflecke beseitigt hatte. Beklommen begab sie sich zum Küchentisch.
»Nehmt Platz, Meister. Ich hole Euch einen Imbiss.«
»Das ist nicht nötig.« Fassbenders Lächeln wirkte seltsam. »Setzt Euch zu mir und hört, was ich Euch zu sagen habe.«
Melisande ließ sich auf einen der Schemel nieder. Die dunkle Ahnung, die sie beschlich, machte ihre Knie butterweich und ihre Hände eiskalt.
»Wie ich schon sagte, es ist sehr bedauerlich, was Eurer Familie widerfahren ist. Gleichwohl ist die Zunft natürlich bestrebt, die Werkstatt Eures Vaters zu erhalten. Entgegen der Gerüchte, die in der Stadt die Runde machen, glauben wir, dass er ein aufrichtiger und rechtschaffener Mann war, der mit Machenschaften wie diesen nichts zu tun hatte.«
»Mit welchen Machenschaften?«, fragte Melisande schneidend. Der Stadtvogt hatte offenbar keine Zeit verloren, die Ehre ihres Vaters in den Dreck zu ziehen.
Fassbender biss auf seiner Unterlippe herum. Die Verlegenheit war allerdings nur gespielt, das spürte Melisande ganz deutlich. Wahrscheinlich hatte er sich an den Schilderungen Sundermanns sogar ergötzt. Dass er mehr wusste, als ihm eigentlich zustand, bewies sein Blick in Richtung Stiege, dem Ort, an dem ihre Eltern ihr Leben gelassen hatten.
»Man erzählt sich, er habe Aufständische beherbergt, die eine Rebellion gegen den Bischof angezettelt haben.«
Melisande lachte spöttisch auf. »Es waren keine Aufständischen, Zunftmeister, es waren zwei Schusterburschen, die von Räubern überfallen worden waren. Jedenfalls haben sie das behauptet. Wer kann schon in die Herzen der Menschen blicken und die Wahrheit erkennen?«
Bitterkeit brannte in Melisandes Kehle, und nur mühsam unterdrückte sie die Tränen. »Bitte sagt, was Ihr mir mitzuteilen habt, Meister, und redet nicht über meine Eltern!«, bat sie ihn schließlich.
Fassbender musterte das Mädchen eindringlich. In seinen Blick schlich sich eine gewisse Zufriedenheit angesichts ihrer Zerknirschtheit. »Ich weiß von Eurem Vater, dass Ihr gewillt seid, die Werkstatt zu übernehmen. Ihr habt das Handwerk drei Jahre lang erlernt und seid fast so etwas wie ein Geselle. Natürlich müsstet Ihr, um der Zunft anzugehören, einen Meisterbrief erhalten.«
»Den Ihr mir aber nicht geben könnt, weil ich eine Frau bin, nicht wahr?«, fragte Melisande wie betäubt.
»Das ist richtig. Normalerweise werden Frauen in unserem Gewerbe nicht zu Meisterinnen gemacht.«
Fassbender legte eine Gedankenpause ein, während der sein Blick an Melisandes Körper auf und ab wanderte. »Unter gewissen Bedingungen wäre ich jedoch durchaus bereit, Euch die alleinige Führung der Werkstatt zu überlassen.« Gierig leckte er sich über die wulstigen Lippen.
Melisande wurde unwohl zumute. Eine leise Ahnung überkam sie. Nein, das konnte er nicht verlangen! »Ich werde nicht heiraten!«, versetzte sie und sprang auf.
Fassbender lächelte, dann griff er unvermittelt nach ihrem Arm. »Aber, aber, wer redet denn vom Heiraten.« Seine Augen leuchteten auf, als er sich ebenfalls erhob. »Du bist ein hübsches Mädchen, und es würde mir sehr gefallen, wenn du mir einen kleinen Gefallen tun würdest.«
Entsetzt beobachtete Melisande, wie er bei diesen Worten an seinen Hosenbeutel griff.
»Nein!«, presste sie hervor und wollte sich losreißen.
Doch der Zunftmeister hielt sie mit eiserner Faust fest. Er genoss seine Überlegenheit sichtlich und lachte laut auf. »Nun stell dich nicht so an. Es hat noch keinem Weib geschadet, ein wenig gevögelt zu werden.«
Übelkeit stieg in Melisande auf, und ihre Gliedmaßen wurden weich. »Lasst mich los!«, flehte sie.
Aber da hatte Fassbender sie auch schon an sich gezogen und vergrub das Gesicht an ihrem Hals. Melisande stemmte die Fäuste gegen seine Schultern, doch seine Arme umfassten sie wie Klammern. Als sie seine Lippen auf ihrer Haut spürte, kam ihr die Galle hoch.
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