Die Knopfmacherin
Meister gemeint, dass ein Mädchen ebenso in der Werkstatt arbeiten könne wie ein Bursche, dachte er spöttisch. Wenig später schämte er sich allerdings dafür, denn niemand konnte bestreiten, dass Melisande genauso gut arbeitete wie ein männlicher Lehrling.
»Macht Euch keine Sorgen, Meister Ringhand, mir geht es schon wieder besser.« Melisande zwang sich zu einem Lächeln.
»So siehst du aus! Rasch in die Küche mit dir, hol dir etwas Milch. Und du, Bernhard, geh an die Arbeit.«
Der Geselle nickte untertänig. »Ja, Meister.«
Melisande schämte sich, dass der Meister sie nach draußen schickte, aber als sie den Duft der Kräutersträuße einatmete, legte sich ihre Übelkeit wieder. Sie goss sich etwas Wasser in eine kleine Schüssel und trat dann durch die Tür auf den Hinterhof.
Bernhards Bericht über die gefangenen Aufständischen hatte die Bilder von ihren Eltern wieder in ihr Gedächtnis zurückgerufen. Ein Teil von ihr gab den Bauern die Schuld, denn wenn es diesen Aufstand nie gegeben hätte, hätten auch ihre Eltern nicht sterben müssen. Der andere Teil ihrer Seele sagte ihr, dass die Schergen des Bischofs ihre Eltern auf dem Gewissen hatten.
Auf einmal kam ihr etwas Beunruhigendes in den Sinn. Was, wenn Alina dabei ist?, fragte sie sich angsterfüllt. Wenn sie meine Schwester ebenfalls hinrichten wollen? Ich muss dabei sein, ich muss sie sehen.
Rasch stürzte sie den Inhalt der Wasserschale hinunter, dann kehrte sie in die Werkstatt zurück.
»Du solltest dir doch Milch holen!«, tadelte Ringhand sie.
»Ich habe einen Schluck Wasser getrunken, Meister. Jetzt geht es mir schon wieder besser.«
Als sich Melisande wieder an die Arbeit begab, zitterten ihre Hände noch immer. Ich muss es wagen, hämmerte sie sich ein. Egal, was er dazu sagt.
»Meister Ringhand?«, platzte sie schließlich heraus.
»Ja, Melisande?«
»Ich frage mich, ob wir uns nicht den Zug ansehen sollten.«
Alois Ringhand legte sein Werkzeug aus der Hand und zog die Augenbrauen hoch. »Das willst du wirklich tun?«
Melisande nickte und krallte die Hände in ihre Schürze, damit niemand sah, dass sie zitterten. »Ja, warum denn nicht? Alle anderen werden auch hingehen. Wahrscheinlich erwartet man, dass wir uns dort blicken lassen.«
Melisande ignorierte, dass Bernhard sie ansah, als hätte sie den Verstand verloren.
Ringhand überlegte eine Weile. »Ja, in diesen Zeiten erscheint es mir vernünftig, dort zu sein. Womöglich glaubt sonst noch irgendwer, wir würden mit den Rebellen sympathisieren. Aber was ist mit dir? Vorhin war dir doch noch schlecht.«
»Das war nur ein vorübergehendes Unwohlsein«, schwindelte Melisande. »Ich … mich …« Angesichts ihres Stockens meinte der Meister zu wissen, worauf sie hinauswollte.
»Ah, deshalb. Nun, du brauchst nichts weiter zu sagen. Kannst nichts dafür, dass du ein Mädchen bist.«
Bernhard schien auf der gleichen Fährte zu sein, denn er bekam einen hochroten Kopf.
»Also gut, wir sehen uns den Zug an. Wann, sagte der Herold, soll er stattfinden?«
»Heute kurz nach dem Mittagsläuten«, presste Bernhard hervor.
»In Ordnung, dann sputet euch aber mit der Arbeit. Unsere Kundschaft wartet trotz allem nicht.«
In der Stadt drängten sich die Menschen, als käme der Kaiser zu Besuch nach Speyer. Alle wollten die Männer sehen, die es gewagt hatten, sich gegen die Obrigkeit zu erheben. Wilde Gerüchte machten die Runde, einige glaubten sogar, dass sich die Aufständischen den Teufel zu Hilfe geholt hatten. All diese Geschichten gab Bernhard nun zum Besten, während er sich mit Melisande und Alois Ringhand durch die Menge drängte, um einen guten Standplatz zu ergattern.
»Einer von ihnen will sogar gestanden haben, dass er mit dem Teufel paktiert hat, der ihm in der Gestalt einer Frau erschienen sein soll.«
»Unsinn«, brummte der Meister, und bevor er fortfuhr, nickte er einigen Kunden zu, die sich ebenfalls hier eingefunden hatten. »Entweder hat ihn die Folter um den Verstand gebracht oder er hat versucht, sich auf diese Weise rauszureden. Ein Dummkopf muss er gewesen sein, als ob auf den Pakt mit dem Satan nicht ebenfalls der Tod stünde!«
An der nächsten Hausecke blieb er stehen und ließ die beiden allein weiter vorgehen.
Den ganzen Vormittag hatte Melisande eine heftige Unruhe verspürt, und auch jetzt konnte sie das Zittern ihrer Hände nur schwer verbergen. Was, wenn Alina mit auf dem Wagen war? Wie sollte sie ihre Schwester befreien?
»Sag, wo
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