Die Köchin und der Kardinal
blies die Trompete, die Reiter stürmten los. Doch schon am Brückenkopf wurden sie zurückgeschlagen. Jakob, der weiter hinten in der Reihe ritt, sah, dass es aussichtslos war. Immer mehr weimarische Reiter kamen von der Brücke her, metzelten die Kaiserlichen nieder und holten sich die Säcke, Körbe und Wagen mit dem Korn. Triumphierend brüllten sie auf. Jakob ritt ins Lager zurück, gab sein Pferd ab und lief zu Fuß zurück zum Rhein, dorthin, wo ihn der Fischer erwarten wollte. Er fand ihn auch kurze Zeit später, mit seinem Boot im Ufergebüsch versteckt.
»Na, habt Ihr sie bekehrt?«, fragte der Fischer mit einem Grinsen.
»Sie wollten sich nicht bekehren lassen«, gab Jakob lakonisch zur Antwort. Schweigend ruderte der Fischer ihn auf die andere Seite.
»Hast du jemanden gefunden, der den Brief nach Freiburg gebracht hat?«, fragte Jakob, nachdem sie ausgestiegen waren.
»Ja, auf den Mann ist Verlass«, sagte der Fischer. Jakob zahlteihm die beiden restlichen Gulden. Er nahm den Weg zurück durch den Wald und gelangte ohne Zwischenfälle in die Burg, denn die Aufmerksamkeit der Belagerer war durch die Ereignisse an der Brücke abgelenkt. Bevor Jakob zum Kommandanten ging, um ihm Meldung zu erstatten, blickte er durch eines der schmalen Burgfenster hinaus Richtung Westen. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken. An den Eisentoren, die in der Mitte und am Ende der Brücke angebracht waren, hingen die Leichen von zehn kaiserlichen Soldaten.
In der Stadt Freiburg war das Leben noch schwieriger geworden. Einige von Bernhards Männern, Franzosen und Schweden, streiften umher und sammelten alles ein, was noch verfügbar war, um es selbst zu vertilgen oder es nach Breisach zu den Belagerern zu schicken. Elisabeth hatte alle Mühe, in den kleinen Marktständen irgendwelche Waren einzukaufen. Oft verbrachte sie die Tage damit, in die Wälder zu gehen, Beeren und Pilze zu sammeln, um den Speiseplan damit ein wenig zu bereichern. Sie versuchte sich beim Kochen noch mehr einzuschränken, gab die Butter nur in winzigen Flocken zum Gemüse, streckte Suppen mit Wasser und Mehl. Gemüseeintöpfe reicherte sie mit Rinderknochen an. Diese Suppen gab es dann mehrere Tage lang. Der Kardinal und die anderen Hausbewohner hatten sich daran gewöhnt, zum Frühstück nur noch Mehlbrei zu bekommen, der vielleicht mit ein wenig Butter oder Honig verfeinert war. An einem Abend Anfang des Monats Juli kam ein Bote und brachte Elisabeth einen Brief, von einem Mann namens Jakob, wie er sagte. Den Lohn dafür hätte er schon bekommen. Elisabeth zog sich eilig in ihr Zimmer zurück, erbrach das Siegel und las, dass Jakob mit einem Auftrag im Elsass betraut sei. Elisabeth könne nicht in die Festung kommen, das sei viel zu gefährlich. Die Vorräte gingen langsam zur Neige, aber er hoffe, dass sie sich bald wiedersehen könnten. Und dass er sie liebe. Elisabeth ließ den Brief sinken. Dendurfte der Kardinal nicht in die Finger bekommen! Sie steckte ihn in ihr Mieder. Jetzt musste sie sich auf den Weg machen, der Kardinal hatte eine Versammlung einberufen, die sich mit dem Zustand in der Stadt und mit der Verteilung der Güter beschäftigen sollte. Auf dem Weg dorthin sagte sie sich unentwegt, dass sie nach Breisach müsse. Es gab nichts, mit dem sie den Hungerleidenden dort hätte helfen können, genauso wenig wie denen, die hier in der Stadt schon Hungers starben. Niemand wusste, wie viele es bereits waren, aber man munkelte, sie würden in aller Heimlichkeit von ihren Angehörigen verscharrt. Doch der Kardinal würde es niemals zulassen, dass sie nach Breisach ging. Vielleicht musste sie eine List ersinnen, mit der es ihr gelang. Ihr begegneten Soldaten in französischen und schwedischen Uniformen, die ihr Scherzworte nachriefen, Bürger, die von einem Besuch oder aus der Kirche heimkehrten, abgemagerte Kinder, Bettler und Dirnen, die ihrem Gewerbe nachgingen. Die Glocke schlug vom Münster her sieben Mal, als Elisabeth in die Gasse zum Rathaus einbog. Der langgestreckte Bau erstrahlte rötlich in der Abendsonne. Am Hauptportal hielten zwei steinerne Löwen das Stadtwappen und den Bindenschild von Österreich. In den kleinen Versammlungsraum waren bezeichnenderweise keine Reichen gekommen. Es war ein buntes Gemisch aus Weingärtnern, Handwerkern, Tagelöhnern, Hausfrauen und streunenden Halbwüchsigen. Elisabeth konnte auch Melvine und Paul ausmachen. Sie winkte ihnen zu. Nachdem alle auf den bereitgestellten Stühlen Platz genommen
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