Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
erlitten, aber er hätte darüber niemals so verbittert werden und in Selbstmitleid versinken dürfen. Nicht nur sich selbst hatte er auf diese Weise verraten, sondern auch seine Freunde …
Beschämt nahm Dag eine Hand vom Zügel und streckte sie zu Alured hinüber. Der Freund schien zu verstehen und drehte sich so im Sattel, dass Dag sein Gesicht befühlen konnte. Dag schauderte, als er die schwielige Haut berührte. Die Zwerge hatten Alured tatsächlich gezeichnet. Mit einem glühenden Eisen hatte sie ihm die Schandrune ins Gesicht gebrannt, wie sie es bei Verrätern und Mördern zu tun pflegten.
»Alured«, flüsterte Dag, während er seine Hand wieder zurückzog. In seinem Kopf formte sich das Bild seines furchtbar entstellten Freundes. »Das tut mir leid.«
»Du kannst nichts dafür«, versicherte Alured.
»Und … deine Familie?«
»Vigor hat sie hinrichten lassen«, berichtete Alured tonlos, »so wie viele andere auch. Er wollte damit ein Exempel statuieren, um allen Menschen in Ansun klarzumachen, dass der Krieg vorüber ist und wir ihn verloren haben.«
»Vigor.« Dag stieß den Namen aus wie einen Fluch. »Wie viele sind auf diese Weise gestorben?«, wollte er wissen.
»Schwer zu sagen. Nicht nur in Andaril hat es Hinrichtungen gegeben, auch in Sundaril und Taig. In den ersten Wochen, nachdem dein Vater und du verschwunden wart, ist es besonders schlimm gewesen. Als die Zwerge sahen, dass von den Menschen kein Widerstand mehr zu erwarten war, wurde es allmählich besser – aber die Furcht regiert noch immer in den Städten.«
Dag nickte.
»Willst du jetzt immer noch nach Süden gehen?«, fragte Cailan leise. »Oder willst du gemeinsam mit uns gegen die Vorherrschaft der Zwerge kämpfen?«
»So wie ich es längst hätte tun sollen, statt mich in einer Höhle zu verkriechen und meine Wunden zu lecken.«
»Warum bist du nicht zurückgekehrt?«, fragte Alured. »Wir glaubten, du wärst tot …«
»Anfangs wollte ich das, aber je mehr Zeit verstrich, desto größer wurde meine Angst.«
»Wovor? Dass sie dich töten?«
»Nein – mich dem Urteil unseres Volkes stellen zu müssen. Ich befürchtete, dass sie mir die Schuld an der Niederlage geben würden, und ich wusste nicht, was ich zu meiner Verteidigung erwidern sollte.«
»Deine Furcht war unbegründet«, versicherte Alured. »Die Menschen von Ansun haben deinen Vater und dich nicht vergessen und halten euer Andenken in Ehren. Zu erfahren, dass du am Leben bist, würde ihnen neuen Mut geben.«
»Auch wenn ich nicht mehr der bin, der ich einst war? Wenn ich ein Krüppel bin?«
»Wir alle haben durch den Krieg Narben davongetragen«, sagte Cailan. »Es lässt dich nur umso menschlicher erscheinen.«
Dag nickte nachdenklich. »Woher hast du all diese Weisheiten?«
»Seltsam, dass du fragst – von dem alten Druiden natürlich. Er ist mein Lehrer gewesen.«
Damit gab Cailan seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon.
3
N ein und nochmals nein! Ein solches Unterfangen wäre Wahnsinn!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hatte Lavan mit der beringten Hand auf den Tisch geschlagen, so heftig, dass sie jetzt schmerzte.
»Es ist ein Wagnis«, räumte Vigor ein, wobei er sich demonstrativ gelassen gab, »aber eines, das ich ohne Zögern eingehen würde. Denn ich weiß von Dingen, von denen Ihr noch nichts wisst.«
Lavan beugte sich weit nach vorn, sodass seine aschfahle Miene über dem Tisch schwebte wie der bleiche Mond. »Dann sagt mir, was Ihr wisst, statt Euch weiter in Geheimniskrämerei zu üben!«, fuhr er den Zwerg an. »Oder muss ich Euch erst wieder in den Kerker stecken, damit Ihr Euer Schweigen brecht?«
»Das wird nicht nötig sein«, versicherte Vigor, der ebenfalls an der Ratstafel saß, wenn auch sehr viel niedriger. Seinem Ersuchen nach einem Kissen, auf das er sich setzen konnte, hatte Lavan nicht stattgegeben – offenbar genoss es der König von Tirgaslan, auf ihn herabzublicken. Vigor war es gleichgültig – solange er in Wahrheit der Überlegene war …
»Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, war ich bereits dabei, Euch in meine Pläne einzuweihen, als die Nachricht eintraf, dass Eure Gemahlin im Wald aufgefunden wurde.«
»Und?«, schnappte Lavan. In seinen Zügen lag etwas Getriebenes. Seine Augenwinkel zuckten, die Lippen hatte er sich blutig gebissen. Kein Zweifel, die Entführung seines Sohnes hatte den König tief erschüttert. Selbst einem feigen Speichellecker wie ihm musste inzwischen klar
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