Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
Witwe wurde da an nichts gespart: Fleisch von meinem Fleisch, auf unseren Tellern übrigens zartrosa gebratenes Wild, nichts weiter.
Alexander erhebt sich und fragt in die Runde, was denn die Kinder trieben, die Umsitzenden schrecken auf und senken rasch wieder den Blick; auch Kinder wurden schon serviert, wo kommt das nur alles wieder her, von den biederen Brüdern, den grimmigen Brüdern, so bieder können die nicht gewesen sein, oder vielleicht gerade doch, der wahre Schrecken ist die Biederkeit, dass ich das nicht vergesse. Ich greife nach seinem Arm (die Kameras haben ihre Anstandsrunde schon gedreht, die sind draußen, was für ein Glück): die Kinder sind versorgt, sage ich. Und überhaupt, wenn hier jemand nach den Kindern fragen müsste, dann wohl ich, und ich tue es nicht, es ist besser, sie in Sicherheit zu wissen, weit weg. Auf der Fahrt zum Flughafen macht sich Alexander über seine eigene Überspanntheit lustig, wie er das nennt, und der Chauffeur schielt trotz der fast schalldichten Glastrennwand in den Rückspiegel. Und ich sehe das Brokatmuster in der Scheibe, eine deutliche Negativprägung, komplementär gefärbt, und das saugt mich in Richtung Fluchtpunkt, Schlafmütze: versunkenes Land, ich muss alle Kräfte zusammennehmen, um mich auf die Sitzbank zurückzuzwingen, doch es gelingt.
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Das war der Zeitpunkt, wo die alten Liftvideos im Netz auftauchten. Kaum überraschend, anlässlich von Duncans Begräbnis. Jemand trug Alexander zu, wer das Material habe und was er dafür verlange, Alexander wollte noch klarmachen, dass er die Publikation verhindern werde, aber ich sage: lass sie nur machen, das wird ein Eigentor, das garantiere ich, und er lacht auf (die Polizei lässt uns in Ruhe, wir glauben es selbst nicht: die Spurensicherung hat ergeben, sagt Alexander, dass alle vier in diesem Zimmer waren, wir und die Verdächtigen, und dass wir dort waren, scheint sie nicht wirklich zu kümmern. Wie sie nur spurlos kommunizieren, Stuart und Alexander, das wüsste ich gerne. Schschscht, sagt er, wenn ich ihn danach fragen will; Alexander sieht es mir an, er legt die Finger auf seine Lippen oder auf meine, wenn ich unvorsichtig werden und etwas mitteilen will, den Gedanken zum Beispiel, dass Duncan nicht gelitten hat, denn der ist tröstlich. Es war ein schneller Tod, den er nicht kommen hörte, hat er? Das wüsste ich gerne. Hat er die Augen noch weit aufgerissen?
Lass sehen, sagt Alexander, im Zukneifen der Augen sehe ich die freudige Erwartung eines unerwarteten Zwischengangs, eines amuse-gueule der wirklich unterhaltsamen Art, wir verstehen uns. Ich kenne jetzt schon die tief empfundenen Worte der Trauer, die ich nach dem ersten, pietätvollen Zögern dann doch formulieren können werde, und ich führe sie Alexander vor, nämlich wie traurig es sei, dass ich mich vor dem Hintergrund des tragischen Todes meines Exmannes und des Vaters meiner Kinder mit einer solchen Geschmacklosigkeit konfrontiert sähe wie der Ausstrahlung intimen Materials aus der ersten Zeit unserer aufflackernden Leidenschaft, die, ich lächle schuldbewusst, uns zweifellos manchmal zu unüberlegten Handlungen hingerissen hätte, aber, noch einmal Leidenschaft einflechten, Duncan sei eben ein leidenschaftlicher Mann und liebevoller Gatte gewesen. Jetzt der geschäftliche Teil. Wer denn eine solche Pietätlosigkeit begehen könne, unfassbar, und dann natürlich die Ankündigung rechtlicher Schritte. Das alles improvisiere ich vor Alexanders leuchtenden Augen, nur das Lachen rutscht ein wenig ins Hysterische. Doch ich weiß, dass ich jetzt in seiner Schuld stehe, in einer Tätigkeitsschuld, und die werde ich abtragen. Gleich heute fange ich damit an. Ich lache auch, ich bin eine ganz Nette, sage ich. Nur dass ich leider eine Mörderin bin, das sage ich nicht, das denke ich nur, nicht zuviel reden. (Sie werden die Wohnung verwanzt haben, davon ist auszugehen. Und all das mitschneiden. Später. Diesen Punkt klären wir später. Ob man sich auf Stuart wohl verlassen kann?) Dass ich leider keine Mörderin bin, genau genommen, ist eine andere Sache, bloß Komplizin, Mittäterin, Rädelsführerin und was nicht sonst noch alles: ich mag dich noch für meinen erbärmlichen Ausgangszustand, als wäre es dein Verdienst, mich dort rausgeholt zu haben.
Wie kurzsichtig. Man darf sich nicht erpressbar machen. Was für eine unsinnige Maxime, sobald man lebt, ist man erpressbar. Doch wenn man Angst zeigt, tritt das nur umso eher ein, was man
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