Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
immer an, sagt Alexander süffisant und betrachtet Ann. Doch Ann wird sich wehren, das müsste er langsam begriffen haben. Manche sagen, sagt sie, die Erde würde fiebern. Fieber? Das kann nicht stimmen, die Märkte können vielleicht fiebern, mit etwas Fantasie, doch nicht die Erde, ich muss mich verhört haben, und die vorbeilaufenden Fußnoten beginnen etwas von Stuart zu erzählen, da hält es mich nicht mehr:
Ich beginne, mich sorgfältig und sehr technisch anzukleiden, ich versuche, mich an irgendwelche Vorgaben zu halten, die ich im Hinterkopf haben müsste, ein blass karamellfarbenes Kostüm, rote Strümpfe und Schuhe, deren Lederfarbe passgenau der des Stoffs entspricht (grün, glaube ich) – es dauert ein wenig, bis ich die entscheidenden Bestandteile zusammengesucht habe, doch die Tätigkeit gefällt mir auf einmal, es ermöglicht mir ein abgerundetes Bild von mir selbst zu entwerfen, und die einzige Extravaganz, die ich mir gestatte, besteht in der Andersfarbigkeit der ungewöhnlich geformten Absätze. Ich zögere bei der Wahl von Tasche und Mantel, ich habe sowieso nichts, das ich mit mir herumtragen wollte, dann rufe ich den Chauffeur, der mich im Einfahrtsrund erwartet, wobei ich nicht anders kann, als das dunkle Astgerüst von unten zu betrachten, das den grauen Himmel elegant durchschneidet wie eine japanische Kalligraphie, und ich denke nichts als das Wort Ka l ligraphie und stelle mir eine in Tinte getunkte Feder vor, mit der historisch bedeutende Taten schon immer festgehalten wurden, und um bedeutsam zu sein, muss man grausam sein können, vor allem zu sich selbst. Alexander weiß das.
Beim Betreten des Firmensitzes kein Blick für die Zuckerbäckerfassade, das Angstgerüst, ein Rauschen kommt aus der Eingangshalle, das vom erhöhten Stimmenaufkommen am dortigen Bildschirm herrührt: Ein Standbild Anns, das nicht mehr mit dem Ton synchron geht, während die Spruchbandschrift am Bildschirmrand an Fahrt zulegt: killed , zieht vorbei, explosion . Das Spruchband ist einzeilig, einzellig, lachhaft. Da fehlt die Hälfte. Killed: explosion. Wirkung und Ursache. Polizeichef Stuart bei Explosion eines Autos getötet – zahlreiche Tote und Verletzte. Ann verschwindet. Aus aktuellem Anlass Schaltung ins Nachrichtenstudio, steht da, dann das Bild eines merkwürdig unversehrt scheinenden Fahrzeugs, das aber das Unfallauto sei, was heißt Unfall, Autos explodieren nicht aufgrund von Unfällen. Erste Vermutungen. Bombe nicht im Auto, sondern in Kanaldeckel vor Baustelle platziert. Fernzündung. Passanten hätten den Rauch bemerkt, doch aus noch ungeklärter Ursache habe der Tross um Stuarts Wagen nicht die Route geändert. Kompetenzstreitigkeiten, sage ich leise. Das Szenario kenne ich, ein heißer Strahl Eifersucht spritzt auf: Durchführung offensichtlich ganz ohne mich. Was hast du dir eingekauft?
Er steht schon, als ich sein Büro betrete, hat sich dem allgegenwärtigen Wandbildschirm genähert, er kommt auf mich zu, noch bevor sich die Tür (automatisch, lautlos) hinter mir schließt, er nimmt meinen Zorn vorweg, sieht meinen Zorn, nimmt mich in den Arm, so kenne ich dich, mein Mörder, sage ich, so gefällst du mir, endlich findest du zu deiner alten Form. Und er sagt, glaub ja nicht, dass du die Sache noch unter Kontrolle hast, er packt mich am Hals und drückt auf den Kehlkopf, dass mir schwindlig wird, die Kontrolle ist bei mir, bei mir, verstehst du. Ja, sage ich, allzu viel Luft lässt er mir nicht, ja, sicher, ich weiß, bei wem denn sonst. Dass ich, und nur ich, über den Schlüssel zum Quellcode verfüge, erwähne ich nicht. Auch wenn er die zweite Hand hebt, erkenne ich am Zucken eines Mundwinkels, dem Ansatz eines schiefen Lächelns, dass ich ihn erreicht habe, mir fällt ein Stein vom Herzen, ich erkenne dich wieder, endlich erkenne ich dich wieder, mein kleiner König.
Vorher schon spüre ich die zweite Hand warm und weich auf meinem Oberkörper, zärtlichkeitssuchend. Halt den Mund, sagt er, auch das klingt zärtlich, während auf den Monitoren die Bilder Stuarts kommen und gehen und die des zweiten Wagens, und Alexander auftaucht und seiner Trauer über das Ableben Stuarts tief getroffen Ausdruck verleiht, und darüber, dass die älteste Tochter noch in Lebensgefahr schwebe. Und ich merke, dass es wahr ist, er ist wirklich tief getroffen, unter dem Weiß der Augen liegt ein dunkler gewaltiger See, der mich anzieht, an den ich andocken könnte mit meinem Mund, während die Wimpern die
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