Die Königin von Zamba
das Bahnhofsgelände, als Hasselborg und Fouri eintrafen. Die Treiber, die auf den massigen Hälsen saßen, bliesen kleine Trompeten, um Karambolagen mit anderen Gespannen zu vermeiden.
»Ihr habt einen etwas ungünstigen Zeitpunkt erwischt, mein Held«, flötete Fouri. »Der Zug nach Qadr ist schon abgefahren, und der Gegenzug kommt erst gegen Sonnenuntergang.«
»Wo liegt Qadr?«
»Ein Vorort von Majbur. Er liegt auf dieser Seite des Pichide. Nach Jazmurian geht kein durchgehender Zug; der Fluss ist für eine Brücke zu breit. Man muss in Qadr aussteigen und mit dem Boot hinüberfahren, bevor man mit dem Zug weiterfahren kann.«
»Vielen Dank für die Auskunft!«
Nachdem sie eine Weile dem Treiben zugeschaut hatten, fuhr sie fort: »Ich stelle fest, wir sind echte Seelenverwandte, Meister Kavir. Auch ich habe es nämlich schon immer geliebt, am Zaun des Bahnhofs zu stehen und zuzuschauen, wie die Züge ankommen und abfahren.«
Hasselborg zuckte innerlich leicht zusammen, so als hätte er sich an einem schmutzigen Küchenmesser geschnitten und kein Desinfektionsmittel zur Hand.
»Wenn Ihr wirklich vorhabt, nach Majbur zu fahren – ich kann den Dour mit Leichtigkeit dazu überreden, Euch freizugeben. Ich brauche bloß mit dem Fuß aufzustampfen und ihm zu sagen, dass mein geliebter Gemahl gerne eine Reise machen möchte, und schon würde er …«
Hasselborg wechselte schnell das Thema, indem er sie nach Zamba und seinem neuen Herrscher fragte.
Der König erwies sich als äußerst schwieriges Porträtmodell. Ständig juckte und kratzte er sich und putzte sich die spitze Nase am Ärmel ab. Doch damit nicht genug: Pausenlos kam irgend jemand hereingekatzbuckelt, um ihm irgend etwas ins Ohr zu flüstern oder Papiere zum Unterzeichnen vorzulegen. All dies zusammengenommen brachte Hasselborg, der ohnehin nicht allzu viel Vertrauen in seine künstlerischen Fähigkeiten hatte, in einen Zustand, der am ehesten mit dem Begriff ›wilde Verzweiflung‹ zu umreißen ist. Schließlich hielt er es nicht mehr aus.
»Wenn Eure Illumineszenz diese Pose wenigstens für fünf Minuten einhalten könnten …«
»Was erdreistet Ihr Euch, Maler?« keifte der König. »Ihr Wicht, Ihr wagt es, mich zu kritisieren? Ich halte diese Pose jetzt seit fast einer Stunde, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und Ihr erkühnt Euch, das Gegenteil zu behaupten? Hinaus mit Euch! Wie konnte ich mich nur auf so etwas einlassen? Geht mir aus den Augen, Elender! Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint! Kommt zurück und macht Euch wieder an die Arbeit! Aber dass wir uns verstehen: keine respektlose Kritik mehr! Ich bin ein sehr beschäftigter Mann, und wenn ich nicht jede Minute meinen königlichen Obliegenheiten widme, dann kriege ich sie nie geschafft. Ihr seid ein braver und treuer Bursche. So, und nun macht zu, kommt – kommt – kommt, steht nicht da und haltet Maulaffen feil, an die Arbeit, an die Arbeit!«
Hasselborg seufzte und begab sich mit stoischem Gleichmut wieder an die Arbeit. Kaum hatte er den Stift in die Hand genommen, als auch schon der nächste Lakai zur Tür hereinkam – diesmal ausnahmsweise nicht geschlichen, sondern gestürzt. Sogar das Flüstern vergaß er in der Aufregung:
»Mit Verlaub, Eure Illumineszenz, der Dasht von Rúz ist unangemeldet eingetroffen, mit fünfzig Bewaffneten! Er sucht nach einem entflohenen Gefangenen, und er glaubt, dass er hier an Eurem Hofe ist!«
9
D er König saß ein paar Sekunden mit weit aufgerissenem Mund da, dann sprang er mit einem gellenden Aufschrei hoch. »Dieser ungehobelte Dummkopf! Das sieht ihm ähnlich, ohne Voranmeldung mir nichts, dir nichts hier hereinzuplatzen! Keine Einladung, kein Gesuch, keine Anmeldung, kein Nichts – Ohé!« Er schaute argwöhnisch Hasselborg an, der es einstweilen aufgegeben hatte, an seiner Skizze weiterzuarbeiten. »Ihr, Meistermaler, taucht hier eines schönen Morgens mit einer schönen Geschichte auf, wie Ihr Hastés Nichte auf Jáms Hoheitsgebiet aus den Klauen von Räubern befreit habt. Und am Ende desselben Tages kommt Jám höchstpersönlich und sucht nach einem entflohenen Gefangenen. Ein seltsames Zusammentreffen der Ereignisse, findet Ihr nicht auch?«
»Ja, Eure Illumineszenz.«
»Schön, also nun mach schon, bring ihn rein, bring ihn rein! Wir werden dieses Knäuel gleich entwirren.« Hektisch raste er hin und her. »Ich bezweifle nicht, dass die Rettung genauso verlaufen ist, wie Ihr es erzählt habt. Meine Leute
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