Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
eintreten und zog sich zurück.
    »Karlmann!« entfuhr es Bertrada.
    Sie trat auf ihn zu und breitete die Arme aus. Er fiel ihr entgegen, als steuerte ihn eine fremde Macht. Mit einem Aufschrei zog sie ihn an sich. Dabei stolperte er, und als sie gemeinsam auf das schmale Strohlager stürzten, hielten sie einander immer noch umklammert. Eine lange Zeit blieben sie schweigend in inniger Umarmung liegen. Sie sahen einander nur an.
    »Mein Mädchen aus dem Land der Awaren«, sagte Karlmann plötzlich leise in die Stille hinein.
    Bertrada schluchzte laut auf. Sie gab sich keine Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so geweint. Die Bäche, die ihr über die Wangen liefen, kündeten von einer für alle Zeiten verlorenen Liebe.
    Doch dann setzte sie sich auf.
    »Ich muß schrecklich aussehen«, sagte sie und hätte sich am liebsten für diese Bemerkung auf die Zunge gebissen. Denn es war schließlich Karlmann, der wahrhaft fürchterlich aussah. Er war bis auf die Knochen abgemagert, schwarze Ringe zeichneten sich unter seinen blutunterlaufenen Augen ab, und eine Geschwulst wucherte auf seiner linken Wange. Mit unerbittlicher Klarheit erkannte Bertrada, daß Karlmann an der Schwelle des Todes stand.
    Sie fuhr zärtlich mit dem Zeigefinger über die unverändert feuerrote Narbe und sagte: »Ich habe nie einen anderen als dich geliebt, Karlmann.«
    Sie schloß die Tür leise hinter sich und schlich die Steinstufen hinunter. Vielleicht würde es ihr gelingen, unbemerkt die Abtei zu verlassen. Niemand wußte, wer sie wirklich war. Aber wenn man den toten Mönch in seiner Zelle entdeckte, würde man Nachforschungen anstellen. Schließlich handelte es sich um den Bruder des Königs! Er war friedlich gestorben, würde sie ihren Richtern sagen können. Auch Mönche erstickten schließlich nicht an einem Kuß.
    Sie schrak zusammen, als ihr im Klostergarten ein Mann in der Tunika eines Sklaven entgegenkam. Er hatte gerade eine der Werkstätten verlassen. Der aufrechte Gang des Mannes wirkte seltsam bekannt. Sie blieb stehen und starrte ihn so eindringlich an, daß er innehielt und sich höflich verneigte.
    »Teles«, murmelte sie verloren und holte tief Luft. »Kannst du mich ins nächste Dorf begleiten?«
    Dort hielt sich Mathilde bei ihren Eltern auf.

10
    D IE M ACHT DES G EMÜTES
    Währendder Sklave noch darüber nachsann, woher die vornehme fremde Frau seinen Namen kannte, erklang hinter ihr aus einem Fenster der Abtei die Stimme des Abts:
    »Sagt, meine Tochter, wie geht es unserem Bruder?«
    Bertrada wandte sich um, kehrte zum Hauptgebäude zurück und blickte zum Fenster hinauf.
    »Er ist jetzt bei Gott.«
    Sie bekreuzigte sich, doch ihre Worte klangen teilnahmslos. Mit der gleichen Stimme hätte sie auch ankündigen können, daß neues Tuch angeliefert worden sei. Ihre Tränen waren in jenem Augenblick versiegt, da Karlmann in ihren Armen sein Leben ausgehaucht hatte. Gleichzeitig war jedes Gefühl in ihr gestorben. Der Mann, den sie geliebt hatte, war tot und sie spürte nichts. Sie war wie benommen und wollte nur so schnell wie möglich fort von hier. Doch dann zwang sie sich zur Vernunft.
    Sie holte tief Luft und sagte: »Und ich bedarf jetzt dringend Eurer Hilfe, ehrwürdiger Vater.«
    Zusammen mit dem Abt kehrte sie in die Zelle Karlmanns zurück und kniete neben dem Toten nieder. Die Augen, in denen sich einst Seelennot und Verzweiflung gespiegelt hatten, waren geschlossen, und die beiden steilen Furchen zwischen ihnen verschwunden. Bertrada zuckte kurz zusammen, als sie unmittelbar vor ihrem Gesicht eine Bewegung wahrnahm. Es war eine kleine Spinne, die sich an einem hauchdünnen Faden von der Decke herabgelassen hatte. Bertrada hob eine Hand, ließ sie dann aber wieder sinken und beobachtete das Tier, das sich auf Karlmanns Brust hinunterließ. Lautes Zwitschern ließ sie aufblicken. Eine Amsel hatte sich im Fenster niedergelassen. Das Schnauben eines Pferdes im Hof und der Ruf eines Mannes drangen herauf in die Zelle. Kurz darauf ertönten Hammerschläge aus einer der Werkstätten. Eine Winde quietschte. Die Amsel flog wieder davon. Als Bertrada abermals zu Karlmann hinsah, war die Spinne verschwunden. Der Abt hatte dem Toten die Hände auf der Brust gefaltet und sich wieder aufgerichtet.
    »Laßt uns in der Kapelle für seine Seele beten«, sagte er, nachdem er über Karlmann das Kreuz geschlagen hatte. Es klang wie ein Befehl.
    Bertrada nickte, obwohl sie lieber noch eine Weile in

Weitere Kostenlose Bücher